Zukunft begreifbar machen: Die Lehrlings-Challenge des Lagerhaus Mostviertel Mitte als Erfolgsrezept
Wie man Lehrberufe „begreifbar“ macht und zukünftige Fachkräfte nachhaltig begeistert.
In einer Zeit, in der der Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte intensiver ist denn je, sind innovative und authentische Ansätze im Lehrlingsrecruiting entscheidend. Die Raiffeisen-Lagerhaus Mostviertel Mitte eGen hat mit ihrer „Lehrlings-Challenge“ ein herausragendes Beispiel geschaffen, wie es gelingen kann, junge Menschen nicht nur zu informieren, sondern aktiv für eine Lehre zu begeistern. Dieser Beitrag beleuchtet das erfolgreiche Konzept, die Umsetzung und die wichtigsten Lerneffekte für andere Ausbildungsbetriebe.
Das Unternehmen: Ausbildung mit Tradition und Zukunftsperspektive
Die Raiffeisen-Lagerhaus Mostviertel Mitte eGen, die 2023 ihr 125-jähriges Bestehen feierte, blickt auf eine beeindruckende Geschichte als Lehrbetrieb zurück. Bereits seit 1970 werden hier junge Menschen ausgebildet, beginnend mit dem ersten Lehrling im Beruf des Landmaschinenbauers. Heute bildet das Unternehmen kontinuierlich rund 60 Lehrlinge in 16 verschiedenen Lehrberufen aus, die die Bereiche Handwerk, Technik und den kaufmännischen Sektor abdecken.
Die Ausbildungsphilosophie des Unternehmens ist klar definiert: Die Lehre soll eine praxisnahe und fördernde Erfahrung sein, die die Grundlage für eine erfolgreiche berufliche Zukunft legt. Der Slogan „Karriere mit Lehre“ ist hier gelebte Praxis, denn viele heutige Fach- und Führungskräfte haben ihre Laufbahn als Lehrling im Unternehmen begonnen. Wertschätzung, Zusammenhalt und die Entwicklung von sozialen Kompetenzen stehen dabei ebenso im Fokus wie die fachliche Qualifikation.
Die Geburtsstunde der Idee: Weg von der Messe, hin zum Erlebnis
Die Idee zur Lehrlings-Challenge entstand 2018 aus einer konkreten Beobachtung: Auf großen regionalen Bildungsmessen fühlten sich die Schülerinnen und Schüler angesichts der Fülle an Ausstellern oft überfordert und hatten kaum Zeit, sich intensiv mit einzelnen Angeboten auseinanderzusetzen. Um aus der Masse herauszustechen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, entschied man sich, ein eigenes, fokussiertes Event zu schaffen. Das Ziel war es, die Lehrberufe nicht nur zu präsentieren, sondern sie im wahrsten Sinne des Wortes „greifbar“ zu machen und dabei gezielt sowohl die Jugendlichen als auch deren Eltern anzusprechen.
Die Umsetzung im Detail: Ein Vormittag voller Praxis und persönlicher Begegnungen

Unter dem Motto „Informieren – erleben – mitarbeiten“ findet die Lehrlings-Challenge jährlich an einem Samstagvormittag im September oder Oktober an Standorten wie Purgstall und Loosdorf statt. Mit einem Personalaufwand von circa 30 Mitarbeitenden – darunter Meister, Lehrlinge und Spartenleiter – wird ein Event auf die Beine gestellt, das pro Standort etwa 50–60 Jugendliche samt Familien anzieht.
Das Herzstück: Die interaktiven Mitmach-Stationen
Anstatt passiver Informationsstände gibt es aktive Stationen für jeden Lehrberuf, an denen die Besucher unter fachkundiger Anleitung selbst Hand anlegen können. Die selbst gefertigten Werkstücke dürfen als greifbare Erinnerung an den Tag mit nach Hause genommen werden, was den positiven Eindruck nachhaltig verstärkt.
- Handwerk zum Anfassen: Bei den Zimmerern und Dachdeckern bauen die Jugendlichen einen kompletten Nistkasten und lernen dabei verschiedene Arbeitsschritte kennen. Am Stand der Installations- und Gebäudetechnik werden Rohrteile zu einem Lampengestell gebogen, welche anschließend mit der Elektrotechnik verkabelt und zu einer funktionierenden Lampe vollendet werden.
- Kreativität und Technik: Die Malerstation lädt dazu ein, mit Schablonen und Farben ein eigenes Bild zu gestalten und so ein Gefühl für den Beruf zu bekommen. In der KFZ-Werkstatt wird an einem Getriebeblock gearbeitet oder per Laptop die Beleuchtung ferngesteuert, bei der Karosserietechnik eine Delle aus einer Motorhaube entfernt und bei den Landmaschinentechnikern beispielsweise Reifen an einem Traktor gewechselt oder ein Teile-Quiz gespielt.
- Begeisterung auf beiden Seiten: Die Stationen werden bewusst von Lehrlingen und ihren Ausbildnern gemeinsam betreut. Dies schafft eine authentische Atmosphäre auf Augenhöhe. Die Lehrlinge haben sichtlich Spaß daran, ihr bereits erlerntes Wissen weiterzugeben und als Experten für ihren Beruf aufzutreten. "Ich kann zeigen, was ich bereits selbst gelernt habe, und es werden von den Familien viele Fragen zum Lehrberuf und unserem Betrieb gestellt. Das macht richtig Spaß und ist auch eine Bestätigung für mich", erzählt etwa ein Lehrling der Gebäudetechnik im 3. Lehrjahr.
Der Rahmen: Wertschätzung und Organisation
Der persönliche Kontakt wird bei der Challenge großgeschrieben. Alle Besucher werden am Eingang persönlich begrüßt, erhalten eine kurze Einführung und einen Hinweis auf die kostenlose Verpflegung. Zum Abschied gibt es eine persönliche Verabschiedung und ein gut gefülltes „Kraftsackl“ mit Infomaterialien und Goodies für den Heimweg. Dieses Vorgehen vermittelt ein Gefühl der Wertschätzung und sorgt dafür, dass sich die Familien willkommen fühlen.
Kommunikation und Reichweite
Die Bewerbung startet Mitte August mit einem breiten Mix an Kanälen, um eine hohe Reichweite in den relevanten Bezirken Melk und Scheibbs zu erzielen. Genutzt werden:
- Klassische Werbemittel wie Flyer und Plakate in Schulen und den eigenen Filialen.
- Anzeigen bzw. Beilagen in regionalen Printmedien und auf Großflächenplakaten.
- Digitale Kanäle wie die Unternehmenshomepage, Newsletter, Social Media (Facebook und Instagram), WhatsApp-Status der Mitarbeiter und das Schulkommunikations-Tool Schoolfox.
Nachbereitung sichert den Erfolg
Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist der strukturierte Nachfassprozess. Seit 2020 werden die erfassten Besucherdaten genutzt, um einen telefonischen Kontakt herzustellen. In diesen Gesprächen wird nicht nur Feedback zur Veranstaltung eingeholt, sondern auch proaktiv das Interesse an den Lehrberufen erfragt und zu Schnuppertagen eingeladen. Oft werden Termine dafür direkt am Telefon oder sogar schon während des Events vereinbart. Obwohl eine systematische Auswertung der Konversionsraten aufgrund dezentraler Strukturen herausfordernd ist, sind die Rückmeldungen auf diese persönliche Nachbereitung durchweg positiv.
Vom Helfer zum Experten: Die zentrale Rolle der Lehrlinge als Erfolgsfaktor
Ein entscheidender Erfolgsfaktor der Lehrlings-Challenge ist die aktive und zentrale Rolle der Lehrlinge selbst. Sie sind nicht bloß Assistenten, sondern werden von Anfang an als vollwertige Partner in die Gestaltung des Events einbezogen. Gemeinsam mit ihren Ausbildnern organisieren, bauen und betreuen sie die Praxis-Stationen. Diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglicht es den besuchenden Jugendlichen, authentische Einblicke zu gewinnen und direkt mit den Lehrlingen über deren Erfahrungen zu sprechen. Für die Lehrlinge selbst ist dies eine wertvolle Erfahrung: Sie schlüpfen in die Rolle der Experten, können ihr erlerntes Wissen weitergeben und erleben sich selbst als „Profis“, die andere anleiten. Das stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern schult auch ihre Kommunikations- und Präsentationsfähigkeiten nachhaltig.
Um diesen Ansatz noch zu vertiefen, kann eine solche Veranstaltung als umfassendes Lehrlingsprojekt konzipiert werden. Dabei könnten Lehrlinge verschiedener Sparten bereits in der Planungsphase die volle Verantwortung für ihre Stationen übernehmen: von der Ideenfindung für ein passendes Werkstück, über die Materialplanung und Vorbereitung der Komponenten bis hin zur Gestaltung des Standes. Der Eventtag selbst wird dann zur praktischen Umsetzungsphase, gefolgt von einer gemeinsamen Nachbesprechung zur Reflexion und Identifikation von Verbesserungspotenzialen. So wird aus einem Recruiting-Tag ein ganzheitliches Ausbildungsprojekt, das wertvolle Kompetenzen wie Projektmanagement, Teamfähigkeit und Eigenverantwortung fördert und die Lehrausbildung zusätzlich aufwertet.
Tipps und Empfehlungen für andere Ausbildungsbetriebe
Aus der erfolgreichen Umsetzung der Lehrlings-Challenge lassen sich wertvolle Tipps für jedes Unternehmen ableiten, das sein Lehrlingsrecruiting verbessern möchte:
- Schaffen Sie praktische Erlebnisse: Gehen Sie über reine Information hinaus. Lassen Sie die Jugendlichen Berufe aktiv ausprobieren. Ein selbst hergestelltes Werkstück ist die beste Visitenkarte und schafft eine starke emotionale Bindung.
- Nutzen Sie Ihre Lehrlinge als Botschafter: Niemand kann die Ausbildung authentischer vertreten als Ihre aktuellen Lehrlinge. Binden Sie sie aktiv in die Planung und Durchführung ein. Das stärkt nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern sorgt auch für einen glaubwürdigen Austausch auf Augenhöhe.
- Holen Sie die Eltern mit ins Boot: Eltern sind die wichtigsten Ratgeber bei der Berufswahl. Sprechen Sie sie gezielt an und schaffen Sie ein Umfeld, in dem auch sie ihre Fragen stellen können und sich willkommen fühlen.
- Kultivieren Sie eine Kultur der Wertschätzung: Kleine Gesten wie eine persönliche Begrüßung, kostenlose Verpflegung oder ein kleines Abschiedsgeschenk zeigen Respekt und hinterlassen einen bleibenden positiven Eindruck.
- Implementieren Sie einen strukturierten Nachfassprozess: Der beste Event verliert an Wirkung, wenn die geknüpften Kontakte nicht weiterverfolgt werden. Ein zeitnaher, persönlicher Anruf kann das Interesse festigen und die entscheidende Brücke zum Schnuppertag oder zur Bewerbung schlagen.
- Planen Sie Ressourcen realistisch: Ein solches Event erfordert Engagement. Planen Sie den Personal- und Zeitaufwand frühzeitig, insbesondere für die Vorbereitung der Stationen.
- Setzen Sie auf einen breiten Kommunikationsmix: Nutzen Sie alle relevanten Kanäle – von der regionalen Zeitung bis zu Social Media und direkten Schulkooperationen –, um Ihre Zielgruppe effektiv zu erreichen.
Die Lehrlings-Challenge des Lagerhaus Mostviertel Mitte ist mehr als nur ein Recruiting-Event. Sie ist ein starkes Statement für die Wertschätzung der Lehrausbildung und ein inspirierendes Beispiel dafür, wie man mit Kreativität, Engagement und einer persönlichen Note die Fachkräfte von morgen für sich gewinnen kann.