Teil 1. Ausbilderprüfung - Informationsquellen und rechtliche Grundlagen
Einleitung
Herzlich willkommen, liebe Ausbilderin, lieber Ausbilder! Du hast eine der verantwortungsvollsten und zugleich lohnendsten Aufgaben in deinem Unternehmen übernommen. Du bist nicht nur eine Führungskraft oder ein Fachexperte. Du bist Mentorin, Wegbegleiter und eine zentrale Figur für den Karrierestart eines jungen Menschen. Diese Rolle bringt eine enorme Verantwortung mit sich – nicht nur pädagogisch, sondern auch rechtlich.
Die Landschaft der Gesetze, Verordnungen und Zuständigkeiten in der österreichischen Lehrlingsausbildung kann auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Dschungel wirken. Wer ist mein Ansprechpartner bei Fragen zum Lehrvertrag? Was genau steht im Berufsausbildungsgesetz, das meine tägliche Arbeit betrifft? Und wo finde ich die verbindlichen Regeln zu Arbeitszeit und Bezahlung? Diese Unsicherheit kann belasten und von deiner eigentlichen Kernaufgabe ablenken: der qualitativ hochwertigen Ausbildung deiner Lehrlinge.
Doch keine Sorge. Dieser Artikel ist dein praxisnaher und verlässlicher Kompass. Wir navigieren gemeinsam durch dieses Terrain und beleuchten die drei entscheidenden Säulen, auf denen das gesamte System der dualen Ausbildung in Österreich ruht: die zentralen Anlaufstellen wie die Lehrlingsstelle, das rechtliche Fundament des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) und die konkreten Alltagsregeln aus Kollektivvertrag (KV) und Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG). Am Ende wirst du eine klare Landkarte in Händen halten, die dir Sicherheit gibt und dich befähigt, deine Rolle als Ausbilder:in souverän und rechtskonform auszufüllen.
Deine wichtigsten Anlaufstellen: Wer hilft dir wann?
Um in der Lehrlingsausbildung sicher zu navigieren, musst du wissen, wer deine Partner sind. Es gibt einige wenige, aber dafür umso wichtigere Institutionen, deren Aufgaben und Zuständigkeiten du kennen solltest. Sie sind nicht nur Kontrollorgane, sondern vor allem auch Service- und Beratungsstellen, die dich in deiner Arbeit unterstützen.
Die Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer (WKO): Dein zentraler Partner
Die Lehrlingsstelle deines Bundeslandes ist weit mehr als nur ein administratives Büro; sie ist dein wichtigster und zentraler Partner während des gesamten Ausbildungszyklus. Sie agiert als die „Berufsausbildungsbehörde erster Instanz“und bündelt eine Vielzahl von Aufgaben, die für dich als Ausbilder:in von entscheidender Bedeutung sind.
Vor der Ausbildung – Das Feststellungsverfahren Bevor du den allerersten Lehrling in einem bestimmten Lehrberuf einstellen darfst, ist ein sogenanntes Feststellungsverfahren zwingend erforderlich.Dabei stellst du bei der Lehrlingsstelle einen Antrag, woraufhin diese – oft gemeinsam mit einem Vertreter der Arbeiterkammer – prüft, ob dein Betrieb die sachlichen und personellen Voraussetzungen für die Ausbildung erfüllt. Konkret wird kontrolliert, ob du in der Lage bist, alle im offiziellen Berufsbild des Lehrberufs festgelegten Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln.Erfüllst du die Kriterien, erhältst du einen positiven Feststellungsbescheid. Dieser Schritt ist auch dann notwendig, wenn seit der Ausbildung des letzten Lehrlings mehr als zehn Jahre vergangen sind.Dieser Bescheid ist die formale „Lizenz zum Ausbilden“ und verliert seine Gültigkeit, wenn nicht innerhalb von 15 Monaten ein Lehrling aufgenommen wird.
Beginn der Ausbildung – Die Protokollierung des Lehrvertrags Sobald du einen passenden Lehrling gefunden hast, muss der Lehrvertrag aufgesetzt und von allen Parteien – bei Minderjährigen auch von den Erziehungsberechtigten – unterzeichnet werden. Diesen Vertrag musst du innerhalb von drei Wochen nach Lehrbeginn bei der Lehrlingsstelle zur „Protokollierung“ (also zur offiziellen Registrierung) einreichen.Die Lehrlingsstelle prüft den Vertrag auf seine rechtliche Korrektheit und Vollständigkeit, bevor sie ihn offiziell registriert.
Während der Ausbildung – Überwachung und Beratung Die Lehrlingsstelle ist auch während der laufenden Ausbildung deine erste Anlaufstelle. Sie überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und steht dir für Rechtsberatung in allen Belangen des Lehrverhältnisses zur Verfügung.Ob du Fragen zur Lehrzeitverkürzung, zu Ausbildungspflichten oder zu Konfliktsituationen hast – hier erhältst du kompetente und verbindliche Auskunft.
Ende der Ausbildung – Prüfung und Förderungen Schließlich organisiert und überwacht die Lehrlingsstelle die Lehrabschlussprüfungen (LAP) und ist für die Abwicklung der zahlreichen Förderungen für Lehrbetriebe zuständig.
In der Praxis bedeutet das, dass die Lehrlingsstelle nicht nur eine Behörde ist, sondern ein strategischer Partner zur Risikominimierung. Das Feststellungsverfahren verhindert, dass du eine Ausbildung beginnst, die du rechtlich nicht erfüllen kannst. Die Protokollierung des Vertrags schafft von Anfang an eine saubere rechtliche Basis. Und die Beratungsfunktion ermöglicht es dir, Probleme zu klären, bevor sie zu handfesten Rechtsstreitigkeiten werden. Betrachte die Lehrlingsstelle also nicht als lästige Bürokratie, sondern als proaktiven Verbündeten, der dir hilft, die Ausbildung auf ein solides und sicheres Fundament zu stellen.
Die Berufsschule: Dein Partner im dualen System
Das duale System lebt von der engen Partnerschaft zwischen der praktischen Ausbildung im Betrieb und der theoretischen Wissensvermittlung in der Berufsschule. Als Ausbilder:in bist du das entscheidende Bindeglied zwischen diesen beiden Lernwelten.
Deine Verantwortung beginnt mit der formellen Anmeldung des Lehrlings bei der zuständigen Berufsschule, die innerhalb von zwei Wochen nach Lehrbeginn erfolgen muss.Darüber hinaus bist du gesetzlich verpflichtet, den Lehrling zum regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten.Bei minderjährigen Lehrlingen gehört es zu deinen Kernaufgaben, den Kontakt zu den Lehrkräften zu pflegen, um über den Fortschritt und eventuelle Schwierigkeiten informiert zu sein.
Dieses Zusammenspiel ist mehr als eine formale Pflicht; es etabliert einen wichtigen Informationskreislauf. Der Lehrling ist seinerseits verpflichtet, dir auf Verlangen sein Zeugnis und seine Schulunterlagen vorzulegen.Diese Regelungen schaffen eine formelle Feedback-Schleife. Schwache Leistungen oder Verhaltensauffälligkeiten in der Schule können ein Frühwarnzeichen für Probleme sein, die sich auch im Betrieb zeigen oder auf diesen auswirken könnten – und umgekehrt. Ein proaktiver Ausbilder wartet nicht auf den Jahresbericht, sondern nutzt die etablierten Kanäle für einen kontinuierlichen Dialog. So ermöglichst du eine frühzeitige Intervention und förderst eine ganzheitliche Entwicklung deines Schützlings, bei der Theorie und Praxis Hand in Hand gehen.
Die Arbeiterkammer (AK): Die Perspektive des Lehrlings verstehen
Die Arbeiterkammer (AK) ist die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer:innen und somit auch der Lehrlinge. Für dich als Ausbilder:in ist es entscheidend, ihre Rolle zu verstehen, um das Gleichgewicht im Ausbildungsverhältnis zu wahren.
Die AK ist von Beginn an Teil des Systems: Sie erhält automatisch eine Ausfertigung jedes protokollierten Lehrvertrags.Ihre sichtbarste Rolle spielt sie jedoch oft, wenn ein Lehrverhältnis vorzeitig beendet werden soll. Eine „einvernehmliche Auflösung“ des Lehrvertrags ist bei minderjährigen Lehrlingen nur dann rechtsgültig, wenn der Lehrling zuvor nachweislich von der AK (oder einem Arbeits- und Sozialgericht) über seine Rechte belehrt wurde.
Das Wissen um die Rolle der AK ist jedoch nicht als Vorbereitung auf einen Konflikt zu verstehen, sondern als Instrument zur Prävention. Wenn du die Rechte des Lehrlings, die die AK schützt – etwa bei Arbeitszeit, Entlohnung oder Ausbildungsinhalten –, genau kennst und respektierst, minimierst du das Risiko von Streitigkeiten, die eine formale Intervention der AK überhaupt erst notwendig machen. Ein guter Leitsatz für die Praxis ist die Frage: „Würde die AK diese Vorgehensweise gutheißen?“ Ein Ausbilder, der diese Perspektive verinnerlicht hat, schafft mit hoher Wahrscheinlichkeit ein faires, transparentes und rechtlich einwandfreies Ausbildungsumfeld. Das baut Vertrauen auf und sorgt dafür, dass die AK für dich das bleibt, was sie sein sollte: ein bekannter Akteur im System, aber keiner, mit dem du dich auseinandersetzen musst.
Das Fundament deiner Arbeit: Das Berufsausbildungsgesetz (BAG)
Wenn die Lehrlingsstelle und die Berufsschule die wichtigsten Akteure auf dem Spielfeld sind, dann ist das Berufsausbildungsgesetz (BAG) das Regelbuch, nach dem gespielt wird. Es ist das „Grundgesetz“ deiner Ausbildungstätigkeitund legt die fundamentalen Rechte und Pflichten für beide Seiten fest. Es zu kennen, ist für dich als Ausbilder:in unerlässlich.
Was das BAG für dich als Ausbilder:in bedeutet: Deine Kernpflichten
Das BAG definiert, was ein Lehrverhältnis überhaupt ist: eine vertraglich geregelte, fachliche Ausbildung zur Erlernung eines anerkannten Lehrberufs.Aus dieser Definition leiten sich deine zentralen Verpflichtungen ab:
- Ausbildungsverpflichtung: Deine vornehmste Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass der Lehrling alle Fertigkeiten und Kenntnisse erlernt, die in der offiziellen Ausbildungsordnung und dem dazugehörigen Berufsbild für seinen Lehrberuf festgelegt sind.Du musst ihn selbst unterweisen oder durch geeignete Personen unterweisen lassen.
- Verbot berufsfremder Tätigkeiten: Du darfst dem Lehrling keine Aufgaben übertragen, die nichts mit dem Ausbildungszweck zu tun haben oder seine körperlichen Kräfte übersteigen.Das private Auto zu waschen oder stundenlang nur den Boden zu kehren, ist – sofern es nicht explizit Teil des Berufsbildes ist – ein klarer Verstoß.
- Anleitung und Schutz: Du musst den Lehrling zu verantwortungsbewusstem Handeln anleiten und ihn vor Misshandlungen, körperlicher Züchtigung und groben Beleidigungen schützen.
- Freistellung für die Berufsschule: Du bist gesetzlich verpflichtet, dem Lehrling die für den Schulbesuch notwendige Zeit freizugeben und ihn zur Teilnahme anzuhalten.
Das Berufsbild ist dabei dein wichtigstes Werkzeug. Es ist nicht nur eine lose Empfehlung, sondern der „gesetzliche Mindeststandard“ für die Ausbildung.Es dient dir als legaler und pädagogischer Bauplan. Einerseits schützt es dich und deinen Betrieb vor dem Vorwurf einer mangelhaften Ausbildung, wenn du dich nachweislich daran hältst. Andererseits gibt es dir eine klare Struktur für den betrieblichen Ausbildungsplan vor und legitimiert die Aufgaben, die du dem Lehrling überträgst. Jeder Ausbildungsplan und jede zugewiesene Tätigkeit sollte sich auf dieses Dokument zurückführen lassen.
Der Lehrvertrag: Mehr als nur ein Stück Papier
Der Lehrvertrag ist das formale Dokument, das die Rechte und Pflichten aus dem BAG für den Einzelfall festhält. Er begründet das Lehrverhältnis und muss zwingend schriftlich abgeschlossen werden.
Die Formalitäten sind klar geregelt: Es müssen vier Exemplare ausgefertigt werden – je eines für den Lehrling, den Lehrberechtigten, die Lehrlingsstelle und die Arbeiterkammer.Bei minderjährigen Lehrlingen ist die Unterschrift eines gesetzlichen Vertreters (in der Regel die Eltern) unerlässlich.Der Vertrag muss die genaue Bezeichnung des Lehrberufs und die Dauer der Lehrzeit enthalten.
Eine besonders wichtige Regelung ist die Probezeit. Die ersten drei Monate des Lehrverhältnisses gelten von Gesetzes wegen als Probezeit, ohne dass dies extra vereinbart werden muss.In diesem Zeitraum kann das Lehrverhältnis sowohl von dir als auch vom Lehrling jederzeit ohne Angabe von Gründen schriftlich aufgelöst werden.Eine wichtige Ausnahme besteht, wenn der Lehrling während dieser Zeit eine lehrgangsmäßige (also geblockte) Berufsschule besucht: In diesem Fall gelten die ersten sechs Wochen der tatsächlichen Anwesenheit im Betrieb als Probezeit.
Rechte und Pflichten im Gleichgewicht: Ein faires Spiel
Das BAG sorgt für ein klares Gleichgewicht der Rechte und Pflichten. Es ist entscheidend, dass du nicht nur deine eigenen Pflichten, sondern auch die des Lehrlings kennst.
Deine Pflichten als Lehrberechtigte/r | Die Pflichten deines Lehrlings |
Ausbildungsverpflichtung: Vermittlung aller Inhalte laut Berufsbild. | Bemühungspflicht: Sich aktiv bemühen, die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben. |
Zahlungsverpflichtung: Pünktliche Zahlung des Lehrlingseinkommens. | Sorgfaltspflicht: Sorgsamer Umgang mit Werkzeugen, Materialien und Geräten. |
Schutzpflicht: Fürsorge für Sicherheit und Gesundheit, Schutz vor Misshandlung. | Loyalitätspflicht: Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. |
Freistellungspflicht: Anhalten zum und Freigeben für den Berufsschulbesuch. | Meldepflicht: Unverzügliche Meldung bei Krankheit oder sonstiger Verhinderung. |
Kontaktpflicht: Bei Minderjährigen Kontakt zu den Erziehungsberechtigten halten. | Vorlagepflicht: Auf Verlangen das Berufsschulzeugnis vorlegen. |
Diese Gegenüberstellung ist mehr als eine theoretische Auflistung. Sie bildet die rechtliche Grundlage für dein gesamtes Performance Management. Die im BAG festgelegten Gründe für eine fristlose Entlassung durch den Arbeitgeber nehmen direkt Bezug auf die Pflichten des Lehrlings. Ein Entlassungsgrund ist beispielsweise, wenn der Lehrling „trotz wiederholter Ermahnungen seine Pflichten verletzt oder vernachlässigt“.Das bedeutet, du kannst einen Lehrling nicht einfach wegen „schlechter Leistung“ entlassen. Du musst dokumentieren können, dass er konkrete gesetzliche Pflichten – wie die Bemühungs- oder die Sorgfaltspflicht – verletzt hat und du ihn nachweislich darauf hingewiesen und ermahnt hast. Damit verwandelt sich die Liste der Pflichten aus dem Gesetz in ein aktives und rechtssicheres Werkzeug für Feedbackgespräche, Zielvereinbarungen und, im äußersten Fall, für disziplinarische Maßnahmen.
Geld, Zeit und Sonderschutz: Der Kollektivvertrag und das KJBG
Während das BAG das Fundament legt, regeln der Kollektivvertrag (KV) und das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG) die Details des Alltags. Hier geht es um die konkreten Zahlen: um Euro und Cent, um Stunden und Minuten. Diese Regelungen zu kennen, ist entscheidend, um kostspielige Fehler zu vermeiden.
Der Kollektivvertrag (KV): Was für deine Branche gilt
Der Kollektivvertrag ist eine verbindliche Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern (Wirtschaftskammer und Gewerkschaft) für eine bestimmte Branche. Er konkretisiert und ergänzt die allgemeinen Bestimmungen des BAG und anderer Arbeitsgesetze.
Die wichtigsten Regelungen, die du im KV findest, sind:
- Lehrlingseinkommen: Der KV legt die verbindliche Mindesthöhe des monatlichen Lehrlingseinkommens fest. Dieses ist nach Lehrjahren gestaffelt und steigt mit jedem Ausbildungsjahr an.Eine Unterschreitung dieses Betrags ist unzulässig.
- Sonderzahlungen: Der Anspruch auf Sonderzahlungen wie den Urlaubszuschuss (oft als 13. Gehalt bezeichnet) und die Weihnachtsremuneration (14. Gehalt) ist ebenfalls im KV verankert.Gibt es für eine Branche ausnahmsweise keinen KV, muss ein Anspruch auf Sonderzahlungen explizit im Lehrvertrag vereinbart werden, um zu bestehen.
- Arbeitszeit: Während Gesetze die Höchstarbeitszeit definieren, legen viele Kollektivverträge eine kürzere wöchentliche Normalarbeitszeit fest, zum Beispiel 38,5 Stunden.
- Weiterverwendungspflicht (Behaltepflicht): Nach dem BAG bist du grundsätzlich verpflichtet, deinen Lehrling nach erfolgreicher Lehrabschlussprüfung für drei Monate im erlernten Beruf weiterzubeschäftigen. Der Kollektivvertrag kann diese Dauer jedoch abweichend regeln (verlängern oder unter bestimmten Umständen verkürzen).Dies ist ein kritischer Punkt für deine Personalplanung.
Den für deine Branche gültigen Kollektivvertrag findest du am einfachsten über die Online-Datenbank der WKO.
Man kann sich das Verhältnis von BAG und KV gut bildlich vorstellen: Das Berufsausbildungsgesetz ist die „Hardware“ der Ausbildung – es liefert die grundlegende Struktur, die rechtlichen Beziehungen und die institutionellen Rahmenbedingungen. Der Kollektivvertrag ist die branchenspezifische „Software“ oder das „Betriebssystem“, das auf dieser Hardware läuft. Er nimmt die allgemeinen Prinzipien des BAG (z. B. „es muss eine Entlohnung geben“) und füllt sie mit konkreten, dynamischen Werten (z. B. „€905 im ersten Lehrjahr für Sozialberufe“). Ein:e Ausbilder:in, die nur das BAG kennt, kann nicht effektiv arbeiten. Das Ignorieren des KVs wäre wie der Versuch, einen Computer ohne Betriebssystem zu starten – die grundlegenden Komponenten sind da, aber man kann keine sinnvollen Operationen durchführen.
Das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG): Besondere Schutzrechte
Für alle deine Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gilt das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG). Es enthält besonders strenge Schutzvorschriften, die immer dann zur Anwendung kommen, wenn sie strenger sind als die allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Erwachsene.Ziel ist der Schutz der Gesundheit und der positiven Entwicklung der jungen Menschen.
Die wichtigsten Bestimmungen, die du unbedingt kennen musst, sind:
- Arbeitszeit: Die tägliche Normalarbeitszeit beträgt 8 Stunden, die wöchentliche 40 Stunden. Sie kann auf bis zu 9 Stunden pro Tag ausgedehnt werden, wenn dadurch eine längere zusammenhängende Wochenfreizeit (z.B. ein kurzer Freitag) ermöglicht wird. Der Wochenschnitt von 40 Stunden darf dabei aber nicht überschritten werden.
- Überstunden: Für Jugendliche unter 16 Jahren sind Überstunden gänzlich verboten. Für Jugendliche ab 16 Jahren sind sie nur in sehr engem Rahmen für unbedingt notwendige Vor- und Abschlussarbeiten zulässig. Die Obergrenzen liegen bei einer halben Stunde pro Tag und maximal drei Stunden pro Woche. Diese Mehrarbeit muss immer mit einem Zuschlag von 50 % vergütet oder durch Zeitausgleich abgegolten werden.
- Ruhepausen und Ruhezeiten: Beträgt die Tagesarbeitszeit mehr als viereinhalb Stunden, ist eine ungeteilte Ruhepause von mindestens 30 Minuten Pflicht.Dies ist strenger als bei Erwachsenen, die ihre Pause erst nach sechs Stunden erhalten. Zwischen zwei Arbeitstagen muss eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 12 Stunden liegen.
- Nacht- und Wochenendruhe: Grundsätzlich dürfen Jugendliche zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigt werden.Hier gibt es jedoch wichtige branchenspezifische Ausnahmen, z.B. im Gastgewerbe (Beschäftigung für über 16-Jährige bis 23:00 Uhr möglich) oder in Bäckereien (Arbeitsbeginn für über 15-Jährige ab 04:00 Uhr erlaubt).
- Berufsschulzeit: Die Zeit, die der Lehrling in der Berufsschule verbringt, inklusive der Pausen (aber ohne die Mittagspause), ist auf die wöchentliche Arbeitszeit anzurechnen.Dauert der Unterricht an einem Tag 8 Stunden oder länger, darf der Lehrling an diesem Tag nicht mehr im Betrieb beschäftigt werden.
Die vielen Zahlen und Sonderregeln können verwirrend sein. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Unterschiede zwischen den Regelungen für Jugendliche und Erwachsene übersichtlich zusammen und dient dir als schnelle Referenz für den Alltag.
Regelung | Jugendliche (< 18 Jahre) | Erwachsene (zum Vergleich) | Anmerkungen / Ausnahmen (Beispiele) |
Tägliche Normalarbeitszeit | 8 Stunden | 8 Stunden | Auf 9 Std. erweiterbar für längere Wochenfreizeit |
Wöchentliche Normalarbeitszeit | 40 Stunden | 40 Stunden (oder lt. KV) | Durchrechnung bis 45 Std./Woche möglich, wenn KV es zulässt |
Überstunden | <16 J: Verboten. >16 J: Max. 3 Std./Woche (nur Vor-/Abschlussarbeiten) | Gemäß AZG/KV | Immer mit 50 % Zuschlag |
Ruhepause | 30 Min. nach >4,5 Std. Arbeit | 30 Min. nach >6 Std. Arbeit | Pause ist unteilbar |
Tägliche Ruhezeit | Mind. 12 Stunden ununterbrochen | Mind. 11 Stunden ununterbrochen | |
Wöchentliche Ruhe | 2 zusammenhängende Tage (inkl. Sonntag) | 36 Stunden (inkl. Sonntag) | Ausnahmen im Gastgewerbe/Handel |
Nachtruhe | 20:00 - 06:00 Uhr Arbeitsverbot | - | Ausnahmen: Gastgewerbe >16J bis 23 Uhr; Bäcker >15J ab 4 Uhr |
Mit Sicherheit und Wissen zum Ausbildungserfolg
Die Reise durch die rechtlichen Grundlagen der Lehrlingsausbildung zeigt: Das System ist komplex, aber keineswegs undurchschaubar. Es basiert auf einer klaren und logischen Struktur, die du nun kennst. Lass uns die wichtigsten Wegweiser noch einmal zusammenfassen:
- Die Lehrlingsstelle ist nicht nur eine Behörde, sondern dein proaktiver Partner für die gesamte Dauer der Ausbildung. Nutze sie als Service- und Beratungsstelle, um von Anfang an Rechtssicherheit zu schaffen.
- Das Berufsausbildungsgesetz (BAG) ist dein grundlegendes Regelwerk. Es definiert deine Kernpflichten als Ausbilder:in und gibt dir mit dem Berufsbild einen klaren pädagogischen und rechtlichen Fahrplan an die Hand.
- Der Kollektivvertrag (KV) und das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG) sind deine täglichen Handbücher. Sie regeln die konkreten Details zu Geld, Arbeitszeit und den besonderen Schutzbestimmungen für deine Lehrlinge.
Deine Rolle als Ausbilder:in ist eine Investition in die Zukunft – für den jungen Menschen, für dein Unternehmen und für die gesamte Wirtschaft. Mit dem Wissen um diese rechtlichen Rahmenbedingungen bist du bestens gerüstet. Du bist nicht mehr nur Vorgesetzte:r, sondern eine professionelle Ausbildungsperson, die ihre Lehrlinge mit Kompetenz und Sicherheit auf ihrem Weg begleiten kann. Dieses Wissen schützt nicht nur dich und dein Unternehmen vor rechtlichen Fallstricken, sondern schafft auch ein faires und transparentes Umfeld, in dem junge Talente wachsen und ihr volles Potenzial entfalten können.