Studie: Jugend-Internet-Monitor 2025

Jugend-Internet-Monitor 2025
Quelle: https://www.saferinternet.at/news-detail/jugend-internet-monitor-2025
n=405 Jugendliche (11-17 Jahre) in Österreich

Die wichtigsten Erkenntnisse:
Die digitale Rangliste: Die Top 5 Plattformen
- WhatsApp: 87%
- YouTube: 80%
- Snapchat: 76%
- Instagram: 73%
- TikTok: 72%
Trends und Verschiebungen: Wer gewinnt, wer verliert?
- Die Aufsteiger: Snapchat (+13%), WhatsApp (+11%) und YouTube (+10%) legen am stärksten zu.
- Die Absteiger: Facebook (-8%) und Pinterest (-8%) verlieren deutlich an Relevanz bei den Jugendlichen.
- Der Newcomer: Die Walkie-Talkie-App "Ten Ten" erreicht aus dem Stand 13% der Jugendlichen.
Geschlechterunterschiede: Wo sich die Wege trennen
- Snapchat ist bei Mädchen (81%) deutlich beliebter als bei Jungen (67%).
- YouTube wird von Jungen (74%) etwas häufiger genutzt als von Mädchen (70%).
- Microsoft Teams wird im schulischen Kontext von Mädchen (42%) häufiger genutzt als von Jungen (30%).

Einleitung: Die Vermessung einer digitalen Generation
Jedes Jahr liefert der Jugend-Internet-Monitor von Saferinternet.at eine mit Spannung erwartete Momentaufnahme der digitalen Lebenswelt österreichischer Jugendlicher. Als verlässlicher Pulsmesser ist die Studie für Eltern, Pädagog:innen und politische Entscheidungsträger:innen gleichermaßen ein unverzichtbares Instrument, um zu verstehen, auf welchen Plattformen sich die Generation von morgen bewegt.Doch die reinen Nutzungszahlen, so aufschlussreich sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Um die Jugend von heute wirklich zu verstehen, müssen wir tiefer blicken – auf die psychologischen Triebkräfte, die ausgeklügelten Mechanismen der Plattformen und die soziokulturellen Kontexte, die hinter den Daten verborgen liegen.
I. Die digitale Landkarte der Jugend 2025: Eine Analyse der Fakten
Die Daten des Jugend-Internet-Monitors 2025, erhoben bei 405 Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren in Österreich, zeichnen ein klares Bild der aktuellen Hierarchie im Social-Media-Universum.

Die unangefochtenen Giganten
An der Spitze der Beliebtheitsskala stehen fünf Plattformen, die den digitalen Alltag der Jugendlichen dominieren. WhatsApp ist mit einer Nutzungsrate von 87 % der unangefochtene Marktführer, gefolgt von YouTube mit 80 %. Dahinter positionieren sich Snapchat (76 %), Instagram (73 %) und TikTok (72 %) mit ebenfalls beeindruckenden Reichweiten.Diese Zahlen verdeutlichen, dass es sich hier nicht um Nischenphänomene, sondern um zentrale soziale Infrastrukturen handelt. Während WhatsApp als Basis für die alltägliche Organisation und Kommunikation dient – von Nachrichten über Gruppenchats bis hin zur Videotelefonie –, bedienen die anderen Plattformen spezifische Bedürfnisse wie Unterhaltung, Selbstdarstellung und Informationssuche.Die hohe Nutzungsrate und der signifikante Zuwachs bei WhatsApp (+11 %) deuten darauf hin, dass die Plattform ihre Rolle als reiner Messenger transzendiert hat. Sie fungiert vielmehr als eine Art soziales Betriebssystem für die Jugend. Funktionen wie Standortübermittlung, Gruppenorganisation für Schule und Freizeit sind so tief im Alltag verankert, dass eine Nicht-Nutzung fast einem sozialen Ausschluss gleichkommt.
Dynamiken des Wandels: Wachstum, Stagnation und Niedergang
Der Markt ist alles andere als statisch. Besonders bemerkenswert sind die Zuwächse bei den Top-Plattformen: Snapchat legt um beeindruckende 13 % zu, WhatsApp um 11 % und YouTube um 10 %.Dieses Wachstum lässt sich auf neue Features wie Snapchats „My AI“ oder eine generelle Intensivierung der Nutzung zurückführen. Gleichzeitig gibt es klare Verlierer. Etablierte Netzwerke wie Facebook (-8 %) und Pinterest (-8 %) verzeichnen deutliche Rückgänge.Dies signalisiert einen fortschreitenden Generationswechsel und eine bewusste Abwendung von Plattformen, die zunehmend als Domäne der Elterngeneration wahrgenommen werden.
Diese Abwanderung schafft eine interessante Kommunikationslücke. Eine Deloitte-Studie zur Lehrlingssuche zeigt, dass Unternehmen nach wie vor stark auf „persönliche Kontakte“ (61 %) setzen, was oft die Eltern miteinschließt.Unternehmen versuchen also, Jugendliche über Kanäle und Netzwerke (Eltern) zu erreichen, von deren digitalen Plattformen (Facebook) sich die Jugendlichen gezielt distanzieren. Die Rekrutierungsstrategien scheinen hier nicht mehr vollständig mit der digitalen Realität der Zielgruppe synchron zu sein.
Ein weiteres Zeichen für die hohe Dynamik des Marktes ist das erstmalige Auftauchen der App „Ten Ten“ in der Erhebung, die aus dem Stand 13 % der Jugendlichen erreicht.Dies zeigt die enorme Bereitschaft, neue und oft radikal andere Kommunikationsformen schnell zu adaptieren.
Geschlechterunterschiede als Spiegel sozialer Interaktionsmuster
Die Nutzungsdaten offenbaren auch signifikante Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, die Rückschlüsse auf unterschiedliche soziale Interaktionsmuster zulassen:
- Mädchen zeigen eine deutlich höhere Affinität zu visuell-kommunikativen und beziehungsorientierten Plattformen. Sie nutzen Snapchat weitaus häufiger als Jungen (81 % vs. 67 %).Die in der Studie erwähnte Funktion „Streaks als Freundschaftsbeweis“ korreliert stark mit diesem auf Beziehungspflege ausgerichteten Nutzungsverhalten.
- Jungen sind leicht überrepräsentiert auf informations- und interessensbasierten Plattformen wie YouTube (74 % vs. 70 % bei Mädchen) und dominieren klar auf Gaming-nahen Netzwerken wie Twitch und Discord.
- Ein überraschendes Detail findet sich bei Microsoft Teams: Die schulbezogene Plattform wird von Mädchen (42 %) signifikant häufiger genutzt als von Jungen (30 %).Dies könnte auf unterschiedliche Herangehensweisen an Organisation und Kommunikation im schulischen Kontext hindeuten.
Die folgende Tabelle fasst die Kerndaten des Jugend-Internet-Monitors 2025 zusammen und dient als Referenz für die weitere Analyse.
Plattform | Gesamtnutzung 2025 (%) | Veränderung zu 2024 (%) | Nutzung Mädchen (%) | Nutzung Jungen (%) |
---|---|---|---|---|
87 | +11 | 91 | 84 | |
YouTube | 80 | +10 | 70 | 74 |
Snapchat | 76 | +13 | 81 | 67 |
73 | +2 | 73 | 74 | |
TikTok | 72 | +7 | 72 | 72 |
Microsoft Teams | 35 | neu | 42 | 30 |
34 | –8 | k. A. | k. A. | |
Discord | 26 | –6 | k. A. | k. A. |
Roblox | 24 | +5 | k. A. | k. A. |
BeReal | 24 | –7 | k. A. | k. A. |
20 | –8 | k. A. | k. A. | |
Twitch | 17 | –7 | k. A. | k. A. |
Ten Ten | 13 | neu | k. A. | k. A. |
Telegram | 13 | –5 | k. A. | k. A. |
Tabelle 1: Social-Media-Nutzung der österreichischen Jugend (11-17 Jahre) 2025
II. Hinter den Klicks: Die Psychologie des digitalen Lagerfeuers
Die hohen Nutzungszahlen sind kein Zufall. Sie sind das Ergebnis eines perfekten Zusammenspiels zwischen den psychologischen Grundbedürfnissen von Jugendlichen und dem Design der Plattformen. Die zeitlosen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz – Identitätsfindung, Abgrenzung und die Integration in die Peer-Group – werden heute primär in der digitalen Arena ausgefochten.

Soziale Medien fungieren als eine permanente Bühne für die Identitätsarbeit. Jeder Post, jedes geteilte Video und jedes Profilbild ist ein soziales Experiment, das die Fragen beantworten soll: „Wer bin ich?“ und „Wie komme ich bei anderen an?“.Likes, Kommentare und Follower-Zahlen liefern dabei ein sofortiges, quantifizierbares Feedback – eine soziale Validierung, die in dieser sensiblen Entwicklungsphase von enormer Bedeutung ist.Die Plattformen sind so erfolgreich, weil ihre Mechaniken direkt an diese tiefen psychologischen Bedürfnisse andocken. Sie haben es geschafft, abstrakte soziale Konzepte wie „Freundschaft“ oder „Beliebtheit“ in messbare Metriken zu übersetzen.

Die wichtigste Aufgabe im Jugendalter ist die Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen. Soziale Netzwerke sind heute der primäre Ort, an dem diese Zugehörigkeit verhandelt wird.Nicht auf TikTok zu sein, bedeutet, von Gesprächen über aktuelle Trends und Challenges ausgeschlossen zu werden. Die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, die sogenannte „Fear of Missing Out“ (FOMO), ist ein massiver Treiber der Nutzung.Gleichzeitig dient die Nutzung von Plattformen, die für die Erwachsenenwelt fremd und unverständlich sind – wie anfangs TikTok oder jetzt die neue App TenTen – als bewusster Akt der Abgrenzung und der Schaffung einer eigenen, exklusiven Jugendkultur.

Daraus ergibt sich, dass die im Jugend-Internet-Monitor gemessene hohe Nutzungsfrequenz nicht nur eine Frage der freiwilligen Unterhaltung ist. Sie ist auch eine Reaktion auf einen permanenten sozialen Druck. Die Kommunikation auf den Plattformen mag asynchron sein, die Erwartungshaltung an eine Reaktion ist es jedoch oft nicht. Ein „Snapstreak“ auf Snapchat, einer Plattform mit 76 % Nutzung und einem Wachstum von 13 %, muss beispielsweise innerhalb von 24 Stunden erwidert werden, um nicht zu „reißen“.Dies schafft eine tägliche, fast verpflichtende Interaktion. Ein signifikanter Teil der gemessenen „Nutzung“ ist also nicht rein spielerisch, sondern entsteht aus einer sozialen Verpflichtung heraus, um Sanktionen – wie den Verlust eines Streaks, der als Schwächung einer Freundschaft interpretiert werden kann – zu vermeiden.

III. Die Anatomie der Plattformen: Von flüchtigen "Streaks" bis zu endlosen Feeds
Das Design der Plattformen ist nicht neutral. Es ist bewusst darauf ausgelegt, die Verweildauer und das Engagement der Nutzer:innen zu maximieren, da dies die Grundlage ihres Geschäftsmodells ist.Ein genauerer Blick auf die Funktionsweise einzelner Plattformen enthüllt, wie tief deren Mechanismen in die Psychologie der Jugendlichen eingreifen.

Fallstudie Snapchat: Die Gamification von Freundschaft
Snapchat, die Plattform mit dem stärksten Wachstum (+13 %), hat mit den „Snapstreaks“ ein Feature perfektioniert, das Freundschaft spielerisch quantifiziert. Ein Streak ist mehr als nur ein Zähler; er ist ein sozialer Vertrag, der tägliche Interaktion erfordert.Psychologisch gesehen erzeugt das Aufrechterhalten eines Streaks durch die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin einen Belohnungszyklus, der zu zwanghaftem Verhalten führen kann.Der Verlust eines Streaks kann bei Jugendlichen enormen Stress auslösen, da er als persönlicher Affront oder gar als Ende einer Freundschaft interpretiert wird.Features wie die „Snapmap“, die den Standort von Freunden in Echtzeit anzeigt, lösen zudem die Grenzen der Privatsphäre weiter auf und werfen erhebliche Datenschutzfragen auf.

Fallstudie TikTok & YouTube: Zwischen passivem Konsum und Microlearning
YouTube (80 % Nutzung) und TikTok (72 % Nutzung)nehmen eine duale Rolle ein. Einerseits dienen sie als „Zeitfresser“ der reinen Unterhaltung und Berieselung, oft in Form von passivem Konsum.Andererseits werden sie zunehmend als Suchmaschinen und Lernplattformen genutzt.Die Art und Weise, wie Wissen hier konsumiert wird – in kurzen, visuellen, „bite-sized“ Häppchen (Microlearning) – prägt die Lerngewohnheiten der Generation Z nachhaltig und hat direkte Auswirkungen auf ihre Erwartungen an schulische und berufliche Bildung.
Der entscheidende Akteur ist hier der Algorithmus. Inhalte werden weniger aktiv gesucht als vielmehr auf der „For You Page“ (TikTok) oder als Empfehlung (YouTube) präsentiert. Dieses System ist darauf optimiert, die Verweildauer zu maximieren. Ein potenziell schädlicher Nebeneffekt, der direkt aus diesem Geschäftsmodell resultiert, ist das Abdriften in sogenannte „Filterblasen“ und „Rabbit Holes“, die im Extremfall sogar Radikalisierungstendenzen verstärken können.

Fallstudie Discord: Digitale Jugendzentren und Nischen-Communitys
Discord (26 % Nutzung)hat seinen Ursprung in der Gaming-Szene und dient dort als unverzichtbarer Kommunikations-Backbone.Doch seine Funktion geht weit darüber hinaus. Discord-Server entwickeln sich zu digitalen „dritten Orten“ – neben Familie und Schule –, an denen sich Jugendliche in interessensbasierten und oft hochspezialisierten Gemeinschaften treffen.Die relative Anonymität ermöglicht freie Entfaltung und das Ausprobieren von Identitäten. Diese Anonymität hat jedoch eine Kehrseite: Sie bietet auch einen Nährboden für problematische Inhalte, von Cybermobbing bis hin zu extremistischer Anbahnung, auch als „Cybergrooming“ bezeichnet.

Fallstudie TenTen: Die neue Dimension der Hyper-Erreichbarkeit
Die neue App TenTen (13 % Nutzung)treibt das Prinzip der ständigen Erreichbarkeit auf die Spitze. Sie funktioniert wie ein Walkie-Talkie, das Sprachnachrichten live und ungefragt auf dem Handy des Empfängers abspielt – selbst bei gesperrtem Bildschirm.Der Reiz liegt in der extremen Unmittelbarkeit, die das Gefühl erzeugt, physisch im selben Raum zu sein.Kritiker warnen jedoch, dass die App den Druck zur Erreichbarkeit massiv erhöht und die Grenzen der Privatsphäre auflöst. Sie kann leicht für Störungen oder Mobbing missbraucht werden, und die Tatsache, dass das Mikrofon potenziell durchgehend aktiv ist, wirft ernste Datenschutzbedenken auf.
Diese Beispiele zeigen, dass Plattformen neue soziale Normen und sogar neue Formen von „digitalem Kapital“ schaffen. Eine hohe Follower-Zahl, ein beeindruckender Snapstreak oder die Zugehörigkeit zu einem exklusiven Discord-Server sind nicht nur Zahlen, sondern Statussymbole, die in der Peer-Group einen realen Wert haben und erheblichen sozialen Druck erzeugen.
IV. Der Preis der Vernetzung: Sozialer Druck und die Suche nach Authentizität
Die permanente Vernetzung hat ihren Preis, der sich vor allem auf die psychische Gesundheit der Jugendlichen auswirkt. Soziale Medien konfrontieren sie ununterbrochen mit inszenierten, scheinbar perfekten Lebenswelten, Körpern und Erfolgsgeschichten.Dieser ständige soziale Vergleich mit einem unerreichbaren Ideal kann zu Neid, einem verminderten Selbstwertgefühl und chronischer Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben führen.
Ein besonders besorgniserregendes Phänomen ist die sogenannte „Snapchat Dysmorphia“. Die ständige Konfrontation mit gefilterten und digital optimierten Selfies führt zu unrealistischen Schönheitsidealen und einer verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers.Dies kann bestehende Körperbild-Störungen verstärken und bei manchen Jugendlichen den Wunsch nach kosmetischen Eingriffen wecken, nur um dem digitalen Ideal näherzukommen.
Zahlreiche Studien weisen auf Korrelationen zwischen intensiver Social-Media-Nutzung und einer Zunahme von Angstzuständen, depressiven Symptomen und Schlafstörungen hin.Die ständige Reizüberflutung, der algorithmisch erzeugte Strom an Informationen und der Druck zur permanenten Erreichbarkeit und Selbstdarstellung sind signifikante Stressoren für die sich entwickelnde Psyche.Hinzu kommt die Gefahr von Cybermobbing und Hass im Netz. Die gefühlte Anonymität und die enorme Reichweite des Internets senken die Hemmschwelle für aggressives Verhalten, was für die Betroffenen gravierende psychische Folgen haben kann.
Hier zeigt sich eine fundamentale Dissonanz: Jugendliche haben ein starkes Bedürfnis nach Authentizität und wollen sich selbst finden.Gleichzeitig belohnt die Logik der Plattformen – durch Likes, Shares und Follower – vor allem die perfekte Inszenierung, die gesellschaftlichen Idealen entspricht.Sie sind in einem ständigen Spagat gefangen: Um online anerkannt zu werden, müssen sie oft eine Version von sich präsentieren, die nicht der Realität entspricht. Diese Kluft zwischen dem realen Ich und dem idealisierten digitalen Ich ist eine wesentliche Quelle für psychischen Stress.
V. Der blinde Fleck: Was uns der Jugend-Internet-Monitor NICHT verrät
Trotz seiner unbestreitbaren Nützlichkeit als Trendbarometer hat der Jugend-Internet-Monitor signifikante „blinde Flecken“, die durch seine Methodik bedingt sind. Ein kritisches Verständnis dieser Lücken ist entscheidend, um die Daten korrekt zu interpretieren und falsche Schlussfolgerungen zu vermeiden.

Quantität statt Qualität: Das "Was", aber nicht das "Wie"
Die zentrale Frage der Studie lautet: „Welche der folgenden Internetplattformen nutzt du?“.Diese Ja/Nein-Abfrage erfasst die reine Existenz der Nutzung, sagt aber nichts über deren Qualität, Tiefe oder den Kontext aus. Ein Jugendlicher, der YouTube gezielt für Schulrecherchen und Lernvideos nutzt, wird in der Statistik exakt gleich erfasst wie ein Jugendlicher, der stundenlang passiv konsumiert oder in extremistische „Rabbit Holes“ abrutscht.Die Ambivalenz der Nutzung – Discord als Ort für kreative Gemeinschaften und gleichzeitig für Radikalisierung, TikTok als Lernwerkzeug und Quelle für Desinformation– wird in einem einzigen, irreführend simplen Datenpunkt zusammengefasst. Der größte blinde Fleck ist somit die Unfähigkeit der Methodik, die Bedeutung hinter der Nutzung zu erfassen.
Der fehlende Kontext: Offline-Leben und soziodemografische Faktoren
Die Daten werden im luftleeren Raum präsentiert. Wichtige Kontextfaktoren, die die Mediennutzung und deren Auswirkungen massiv beeinflussen – wie der sozioökonomische Status, das familiäre Umfeld, schulischer Druck oder psychische Vorbelastungen – werden nicht erhoben.Ein eindrückliches Kontrastbeispiel liefert die Deloitte-Studie „Youth Pulse Check 2025“.Diese Studie verbindet die Lebenswelt von Jugendlichen mit der Arbeitswelt, indem sie nach Motivationen, Hindernissen und Wünschen bei der Berufswahl fragt. Sie zeigt auf, dass das „schlechte Image der Lehre“ ein reales Problem für fast die Hälfte der Lehrlinge ist.Dies ist ein entscheidender Kontext, der die Online-Suche nach Ausbildungsplätzen beeinflusst – ein Zusammenhang, den der Jugend-Internet-Monitor nicht herstellen kann.
Die emotionale Blackbox: Gefühle bleiben unsichtbar
Die Umfrage misst keine Emotionen. Ob die Nutzung von Snapchat primär Freude bereitet oder durch den Druck der „Streaks“ Stress verursacht, ob die Zeit auf Instagram zu Inspiration oder zu Neid und Selbstzweifeln führt, bleibt verborgen. Die emotionale Realität der Jugendlichen, die das eigentliche Erleben ausmacht, wird nicht abgebildet.
Passiver Konsum vs. Aktive Gestaltung: Die Illusion der "Digital Natives"
Die Studie differenziert nicht, ob Jugendliche Inhalte nur passiv konsumieren oder aktiv und kreativ gestalten.Die reine Nutzung einer Plattform ist jedoch kein Indikator für Medienkompetenz.Die entscheidende Fähigkeit, Inhalte kritisch zu analysieren, Falschinformationen zu erkennen und verantwortungsvoll zu kommunizieren, wird nicht gemessen. Die pauschale Bezeichnung „Digital Natives“ verschleiert, dass der souveräne Umgang mit digitalen Medien erlernt werden muss und keine angeborene Fähigkeit ist.
Die alleinige Betrachtung der hohen Nutzungszahlen könnte zu kurzsichtigen politischen oder pädagogischen Reaktionen führen, wie etwa Rufen nach Verboten. Ein tieferes Verständnis der „blinden Flecken“ lenkt den Fokus hingegen auf differenziertere und nachhaltigere Lösungsansätze: die Stärkung von Medienkompetenz, die Regulierung von Algorithmen und die gezielte Förderung der psychischen Gesundheit.
VI. Jenseits des Bildschirms: Implikationen und Handlungsempfehlungen
Die Erkenntnisse aus der digitalen Welt der Jugendlichen haben weitreichende Konsequenzen für ihr Offline-Leben – für die Familie, die Schule und die zukünftige Arbeitswelt.

Für Eltern und Pädagogen: Dialog statt Kontrolle
Der Schlüssel liegt nicht in Verboten, sondern im Dialog und der aktiven Förderung von Medienkompetenz.Dies umfasst die Fähigkeit zur Medienkritik (Quellen hinterfragen), das Wissen über die Funktionsweise von Algorithmen, die Entwicklung einer gesunden Balance bei der Mediennutzung und die Ermutigung zur eigenen kreativen Gestaltung.Offene Gespräche über die Risiken – von Datenschutz über Cybermobbing bis hin zu unrealistischen Schönheitsidealen – sind unerlässlich, um das Bewusstsein der Jugendlichen zu schärfen.Gleichzeitig ist es wichtig, Anzeichen für psychischen Stress, Angst oder sozialen Rückzug ernst zu nehmen und auf professionelle Unterstützungsangebote wie den schulpsychologischen Dienst oder externe Beratungsstellen hinzuweisen.

Für die Arbeitswelt: Die Gen Z als Mitarbeiter verstehen
Die in sozialen Medien erlernten Kommunikationsnormen und Erwartungen übertragen sich direkt auf den Arbeitsplatz.
- Feedbackkultur: Die Generation Z ist an sofortiges und kontinuierliches Feedback gewöhnt, ähnlich einem „Like“ oder einem Kommentar. Lange, formale Feedback-Zyklen wie jährliche Mitarbeitergespräche werden als unzureichend und demotivierend empfunden. Stattdessen werden regelmäßige, kurze und authentische Rückmeldungen erwartet.
- Teamkultur: Das in Online-Communitys gelebte Bedürfnis nach Zugehörigkeit manifestiert sich im Wunsch nach einer positiven, unterstützenden und gemeinschaftlichen Teamkultur. Laut der Deloitte-Studie sind „nette Kolleg:innen“ für 59 % der Jugendlichen der wichtigste Faktor bei der Wahl des Ausbildungsplatzes – noch vor Gehalt oder Sinnhaftigkeit.Arbeitgeber müssen daher aktiv in den Aufbau von Gemeinschaft und ein gutes Betriebsklima investieren.
- Lernkultur: Die Affinität zu Microlearning und visuell aufbereiteten Inhalten, wie sie auf YouTube und TikTok zu finden sind, sollte in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden. Kurze Lernvideos, spielerische Elemente (Gamification) und interaktive Formate sind oft effektiver als traditionelle, langatmige Schulungen.

Für die Politik und Plattformen: Verantwortung einfordern
Es bedarf eines regulatorischen Rahmens, der die Plattformen stärker in die Verantwortung nimmt. Dazu gehören Forderungen nach mehr Transparenz und Regulierung von Empfehlungsalgorithmen, um die Entstehung von „Rabbit Holes“ und die schnelle Verbreitung von Desinformation einzudämmen. Datenschutz und Privatsphäre müssen durch Voreinstellungen („Privacy by Design“) gestärkt werden. Darüber hinaus muss eine Debatte über „Mental Health by Design“ geführt werden, die Plattformen dazu anhält, Features zu überdenken oder zu modifizieren, die nachweislich psychischen Stress und Suchtverhalten fördern.
Abschließende Gedanken: Ein Kompass, keine Landkarte
Der Jugend-Internet-Monitor 2025 ist ein wertvoller quantitativer Kompass. Er zeigt uns die Himmelsrichtungen der digitalen Trends und gibt uns eine Orientierung, wohin sich die Aufmerksamkeit der jungen Generation bewegt. Er ist jedoch keine detaillierte Landkarte der komplexen, emotionalen und sozialen Landschaft, in der sich Österreichs Jugend tatsächlich bewegt.
Der wahre Erkenntnisgewinn liegt darin, die Zahlen nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangspunkt für tiefere Fragen zu nehmen: Warum sind diese Plattformen so wichtig? Wie fühlen sich die Jugendlichen bei ihrer Nutzung? Und was bedeutet all das für ihre persönliche Entwicklung, ihre psychische Gesundheit und ihre Zukunft in der Arbeitswelt? Nur wenn wir diese Fragen stellen und die blinden Flecken der reinen Statistik ausleuchten, können wir die digitale Generation wirklich verstehen und sie verantwortungsvoll auf ihrem Weg begleiten.