Psychohygiene für den Alltag als Ausbilder:in: So schützt du dich selbst
Wer sich beruflich oder privat für andere engagiert, läuft Gefahr, die eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren. Dieser Artikel widmet sich dem essenziellen Thema der Psychohygiene – der "Hygiene der Seele". Erfahre, warum es so wichtig ist, auf sich selbst zu achten, um langfristig leistungsfähig und empathisch zu bleiben. Der Beitrag bietet konkrete, praktische Werkzeuge für den Alltag: von Stressmanagement über das Setzen gesunder Grenzen bis hin zur Stärkung persönlicher Ressourcen auf körperlicher, mentaler und emotionaler Ebene.

Der Tag als Ausbilderin ist oft ein Drahtseilakt. Ein Lehrling kämpft mit privaten Sorgen und braucht ein offenes Ohr. Ein anderer steht vor einer fachlichen Hürde und benötigt deine volle Konzentration. Gleichzeitig stapeln sich die Ausbildungsberichte, die Projektplanung drängt und das Telefon klingelt unaufhörlich.In diesem Spannungsfeld bist du Fels in der Brandung, Mentorin, Organisatorin und manchmal auch Seelsorgerin. Du bietest Stärke und Orientierung, selbst wenn deine eigenen Energiereserven zur Neige gehen. Doch was passiert, wenn die eigene Kraftquelle versiegt?
Hier kommt ein entscheidender Begriff ins Spiel, der weit mehr ist als ein moderner Wellnesstrend: Psychohygiene. Stell sie dir als die "Hygiene der Seele" vor – eine Sammlung professioneller und lebenswichtiger Praktiken, um deine mentale Gesundheit zu pflegen.Denn die zentrale Wahrheit für alle, die andere stützen, lautet: Deine eigene Stabilität ist die wichtigste und nachhaltigste Ressource, die du deinen Lehrlingen bieten kannst. Für andere da zu sein, bedeutet nicht, dich selbst aufzugeben. Es bedeutet, klug genug zu sein, um die eigene Kraft zu schützen.
Warum deine Seele eine eigene Hygiene braucht: Das Fundament deiner Stärke
Psychohygiene ist die Summe aller Maßnahmen, die dazu dienen, deine psychische Gesundheit zu erhalten, zu schützen und zu fördern. Es geht darum, Belastungen frühzeitig zu erkennen, ihnen vorzubeugen oder konstruktiv mit ihnen umzugehen.Das Ziel ist es, nicht nur leistungsfähig zu bleiben, sondern auch deine Empathie zu bewahren – eine Fähigkeit, die im Umgang mit jungen Menschen unerlässlich ist.
Die besondere Gefahr für Helfer: Wenn Mitgefühl zur Last wird
Gerade in helfenden und betreuenden Rollen wie der einer Ausbilderin lauert eine spezifische Gefahr: die Empathiemüdigkeit (Compassion Fatigue).Dieser Zustand ist mehr als nur Stress oder Burnout. Er beschreibt eine tiefe emotionale und physische Erschöpfung, die direkt aus dem chronischen Mitfühlen mit den Belastungen anderer resultiert.Wenn du ständig die Sorgen und Krisen deiner Lehrlinge aufnimmst, ohne deine eigenen emotionalen Batterien wieder aufzuladen, schwindet deine Fähigkeit, echtes Mitgefühl zu empfinden. Du funktionierst vielleicht noch, aber die emotionale Verbindung, die deine Arbeit so wertvoll macht, geht verloren.

Das Paradoxe daran ist: Der Versuch, unentwegt zu geben, führt nicht zu besserer Betreuung, sondern untergräbt deine wichtigste Kompetenz. Du kannst keine Empathie aus einer leeren emotionalen Batterie schöpfen.Das direkte Gegenmittel ist daher nicht, sich abzuhärten, sondern
Selbstmitgefühl zu praktizieren – dir selbst mit der gleichen Fürsorge zu begegnen, die du deinen Schützlingen schenkst.
Ein ganzheitlicher Blick: Die vier Ebenen deines Wohlbefindens
Psychohygiene ist kein isoliertes To-do, sondern ein ganzheitliches System, das auf vier miteinander verbundenen Ebenen wirkt. Vernachlässigst du eine, geraten die anderen ins Wanken. Stärkst du eine, hat das positive Effekte auf das gesamte System.

- Die körperliche Ebene: Die Basis von allem Dein Körper ist das Fundament deiner mentalen Stärke. Ausreichend Schlaf, regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und bewusste Regenerationsphasen sind nicht verhandelbar.Schlafmangel beeinträchtigt nachweislich die emotionale Regulation und das rationale Denken – beides Kernkompetenzen in deinem Job.
- Die mentale Ebene: Die Pflege der Gedanken Hier geht es darum, dein Gehirn vor Überlastung zu schützen. Praktiken wie Achtsamkeit helfen dir, im Hier und Jetzt zu bleiben, anstatt im Gedankenkarussell aus Sorgen und To-do-Listen gefangen zu sein.Dazu gehört auch ein bewusster Medienkonsum und das Kultivieren von positiven, lösungsorientierten Gedankenmustern.
- Die emotionale Ebene: Der Umgang mit Gefühlen Diese Ebene umfasst den aktiven Umgang mit deinen Emotionen. Ein wesentlicher Aspekt ist das Setzen gesunder Grenzen, um dich vor emotionaler Verausgabung zu schützen. Genauso wichtig ist der regelmäßige Austausch mit vertrauten Personen, das Pflegen von Hobbys als Ausgleich und die Fähigkeit, auch mal über die Absurditäten des Alltags zu lachen.
- Die spirituelle Ebene: Die Verbindung zu etwas Größerem Dies muss nichts mit Religion zu tun haben. Es geht um die Suche nach Sinn und Bedeutung in dem, was du tust.Die Gewissheit, dass deine Arbeit als Ausbilderin einen echten Unterschied im Leben junger Menschen macht, kann eine unglaublich kraftvolle Ressource sein, die dich auch durch stressige Phasen trägt. Zeit in der Natur oder Momente der Stille können diese Verbindung ebenfalls stärken.
Dein persönlicher Werkzeugkasten: Praktische Strategien für den Alltag
Theorie ist gut, aber die Praxis entscheidet. Die folgenden Strategien sind dein Werkzeugkasten, um Psychohygiene konkret in deinen anspruchsvollen Alltag zu integrieren.
Stressmanagement: Dein Erste-Hilfe-Koffer für akute Belastungen
Stress lässt sich nicht immer vermeiden, aber du kannst lernen, effektiv darauf zu reagieren.
- Sofortmaßnahmen: Wenn der Druck steigt, helfen Techniken, die dein Nervensystem beruhigen. Eine der wirksamsten ist die bewusste Bauchatmung. Atme tief in den Bauch ein, sodass sich die Bauchdecke hebt, und langsam wieder aus. Wiederhole das einige Male. Diese Atmung aktiviert das parasympathische Nervensystem und signalisiert deinem Körper, dass die Gefahr vorüber ist.Ein kurzer Spaziergang an der frischen Luft kann ebenfalls Wunder wirken, um den Kopf freizubekommen.
- Langfristige Prävention: Integriere Routinen, die Stress vorbeugen. Plane feste Pausen in deinen Kalender ein – auch "Mikro-Pausen" von nur fünf Minuten sind wertvoll.Regelmäßiger Sport ist ein hervorragendes Ventil, um Stresshormone abzubauen. Und sorge für ausreichend Schlaf; er ist für die Regeneration deines Gehirns unerlässlich.
Achtsamkeit: Lerne, die richtigen Signale zu hören
Achtsamkeit ist die Fähigkeit, den gegenwärtigen Moment bewusst und ohne Wertung wahrzunehmen.
- Der tägliche Check-in: Gewöhne dir an, mehrmals am Tag kurz innezuhalten und dich zu fragen: "Wie geht es mir gerade? Was brauche ich jetzt?".Diese einfache Übung schult deine Selbstwahrnehmung und verhindert, dass du deine eigenen Bedürfnisse chronisch übergehst.
- Emotionale Ansteckung verstehen: Als empathischer Mensch nimmst du unbewusst die Gefühle deiner Lehrlinge auf. Das liegt an den sogenannten Spiegelneuronen in unserem Gehirn.Wenn du mit jemandem sprichst, der sehr traurig oder gestresst ist, kann dieses Gefühl auf dich "überspringen". Achtsamkeit hilft dir zu unterscheiden: "Ist das gerade mein Gefühl oder das meines Gegenübers?".
- Praktisches Ritual: Das emotionale "Abwaschen": Schaffe eine bewusste Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Ritual ist es, sich nach der Arbeit die Hände zu waschen oder sich umzuziehen und dabei symbolisch die Belastungen des Tages "abzuspülen".
Grenzen setzen: Die Kunst, Nein zu sagen, um Ja zu dir selbst zu sagen
Grenzen zu setzen ist kein Akt der Abweisung, sondern ein Akt der Selbstachtung und Professionalität. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied:

Eine Regel ist oft unpersönlich und starr (z.B. "Handys sind im Gespräch verboten"). Sie kann Widerstand hervorrufen und die Beziehung belasten. Eine persönliche Grenze hingegen ist eine authentische Ich-Botschaft, die deine Bedürfnisse kommuniziert und gleichzeitig die Beziehung schützt (z.B. "Damit ich dir meine volle Aufmerksamkeit schenken kann, ist es mir wichtig, dass wir beide jetzt unsere Handys weglegen.").Damit bist du klar in der Sache, aber wertschätzend im Ton.
- Anwendung im Alltag: Übe, deine Grenzen klar und freundlich zu formulieren. Zum Beispiel: "Ich verstehe, dass du dringend darüber reden möchtest. Ich brauche jetzt aber fünf Minuten für mich, um mich zu sammeln. Lass uns direkt danach sprechen". Oder: "Diese zusätzliche Aufgabe kann ich heute nicht mehr übernehmen, meine Kapazitäten sind erschöpft".
- Das Ritual des Feierabends: Begrenze deine Erreichbarkeit. Schalte Arbeitsbenachrichtigungen auf dem Handy nach Feierabend stumm und widerstehe dem Drang, E-Mails zu lesen. Dein Gehirn braucht diese ungestörte Zeit, um abzuschalten und sich zu erholen.
Emotionale Entlastung: Wohin mit all den Gefühlen?
Die emotionalen Lasten deines Berufs müssen ein Ventil finden, sonst stauen sie sich auf.
- Die Macht des Austauschs: Sprich regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen, die ähnliche Herausforderungen kennen. Dieser Austausch normalisiert Erlebtes und schafft Entlastung. Für eine tiefere Reflexion ist Supervision ein unschätzbar wertvolles, professionelles Werkzeug. Hier kannst du in einem geschützten Rahmen Fälle besprechen und neue Perspektiven gewinnen.
- Kreative Ventile und Hobbys: Engagiere dich in Aktivitäten, die nichts mit deiner Arbeit zu tun haben. Ob Malen, Musik, Gartenarbeit oder Sport – diese Tätigkeiten erlauben es deinem Gehirn, in einen anderen Modus zu wechseln und Emotionen non-verbal zu verarbeiten.
- Humor als Ressource: Verliere nicht die Fähigkeit, über dich selbst und die Absurditäten des Alltags zu lachen. Humor ist eine hochwirksame Strategie, um emotionale Distanz zu schaffen und Anspannungen zu lösen.
Ressourcen stärken: Finde deine persönlichen Kraftquellen
Erstelle eine ganz persönliche Liste deiner Kraftquellen. Was gibt dir Energie? Welche Menschen tun dir gut? An welchen Orten fühlst du dich wohl?.Diese Ressourcen sind dein persönliches Unterstützungssystem. Achte darauf, sie gerade in stressigen Zeiten nicht zu vernachlässigen, sondern ganz bewusst zu pflegen. Sie sind kein Luxus, sondern ein essenzieller Teil deiner psychischen Widerstandskraft.
Tabelle 1: Dein persönlicher Werkzeugkasten für Psychohygiene
Diese Tabelle dient als schnelle Übersicht für den Alltag. Finde das passende Werkzeug für deine aktuelle Situation.
Werkzeug / Technik | Fokusbereich | Zeitaufwand | Wann anwenden? |
Bauchatmung | Stressmanagement | 2-5 Minuten | Bei akutem Stress, vor oder nach schwierigen Gesprächen |
Täglicher Check-in | Achtsamkeit | 1 Minute (mehrmals) | Morgens, mittags, abends zur Stärkung der Selbstwahrnehmung |
Bewusste Pause | Stressmanagement | 5-15 Minuten | Ideal alle 90 Minuten, um den Fokus zu erneuern und Erschöpfung vorzubeugen |
Grenzen formulieren | Grenzen setzen | Situationsabhängig | Immer dann, wenn eine Bitte deine Kapazität oder Werte verletzt |
Feierabend-Ritual | Emotionale Entlastung | 10-30 Minuten | Direkt nach der Arbeit, um eine klare mentale Trennung zu schaffen |
Austausch mit Kolleg:in | Emotionale Entlastung | 15-30 Minuten | Regelmäßig (z. B. wöchentlich), um Belastungen zu teilen und Perspektiven zu erhalten |
Hobbys / Kreativzeit | Ressourcen stärken | 1-2 Stunden | Mindestens einmal pro Woche fest einplanen, um Energie zu tanken |
Supervision | Emotionale Entlastung | 60-90 Minuten | Monatlich oder quartalsweise zur professionellen Reflexion und Entlastung |
Du bist das Vorbild: Wie deine Selbstfürsorge deine Lehrlinge stark macht
Deine Selbstfürsorge ist keine rein private Angelegenheit. Sie ist ein sichtbares und wirkungsvolles Ausbildungsinstrument. Wenn du gut auf dich achtest, lehrst du deine Auszubildenden eine der wichtigsten Lektionen für ihr gesamtes Berufsleben: wie man mit Druck und Herausforderungen gesund umgeht.

Wenn du zum Beispiel sagst: "Ich mache jetzt eine kurze Pause, weil ich gerade ein langes, anstrengendes Gespräch hatte und für die nächste Aufgabe wieder Energie haben möchte", demonstrierst du professionelles Selbstmanagement.Du zeigst, dass Pausen und das Achten auf die eigene Energie Zeichen von Stärke und Klugheit sind, nicht von Schwäche. Damit lebst du Resilienz vor – die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.
Ein Ausbilder, der offen mit dem Thema Stress umgeht und seine eigenen Grenzen kommuniziert, schafft eine psychologisch sichere Umgebung.In einem solchen Klima trauen sich auch Lehrlinge eher, über eigene Belastungen zu sprechen. Das ermöglicht dir, frühzeitig Unterstützung anzubieten, und kann entscheidend dazu beitragen, Krisen abzufedern und Ausbildungsabbrüche zu verhindern.Letztendlich ist die Investition in deine eigene Psychohygiene eine direkte Investition in die Qualität deiner Ausbildung, die Bindung deiner Nachwuchskräfte und damit in den langfristigen Erfolg deines Unternehmens.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Psychohygiene ist eine professionelle Notwendigkeit, kein Luxus. Dein Werkzeugkasten mit Strategien wie Achtsamkeit, Stressmanagement und klaren Grenzen ist dein täglicher Begleiter. Und die wichtigste Botschaft ist: Deine Selbstfürsorge ist die beste Ausbildung, die du deinen Lehrlingen geben kannst.
Denk immer an die Sicherheitseinweisung im Flugzeug: "Setze zuerst deine eigene Sauerstoffmaske auf, bevor du anderen hilfst".Nur wenn du selbst gut versorgt bist, hast du die Kraft, die Stärke und die Empathie, um andere nachhaltig zu stützen. Für andere stark zu sein bedeutet nicht, unverwundbar zu sein. Es bedeutet, weise genug zu sein, um auf die eigene Kraft zu achten.