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Mehrsprachigkeit in der Lehre: Herausforderung oder ungenutzte Chance?

Mehrsprachigkeit in der Lehre: Herausforderung oder ungenutzte Chance?
Photo by zhendong wang / Unsplash

Sprachliche Vielfalt ist im Alltag der dualen Ausbildung längst angekommen – und stellt Ausbildungsbetriebe sowie Berufsschulen vor große Herausforderungen. Doch statt diese Realität als Problem zu sehen, können wir Mehrsprachigkeit gezielt als Ressource nutzen. Der Beitrag „Mehrsprachigkeit in der Lehre. Sprachenpolitik in der dualen Berufsausbildung in Österreich“ von Jutta Majcen und Daniel Marcher bietet einen umfassenden Überblick zur aktuellen Situation – und liefert wertvolle Impulse für Ausbilder:innen und Ausbildungsleiter:innen.

🔍 Ausgangslage: Sprachenvielfalt ist Realität – aber kaum systematisch eingebunden

In Österreich hat rund jede:r fünfte Berufsschüler:in eine andere Erstsprache als Deutsch. In Wien liegt dieser Anteil sogar bei über 45 %. Dennoch ist die Unterrichtssprache in Berufsschulen gesetzlich auf Deutsch festgelegt – andere Sprachen finden keinen Platz im regulären Unterricht, auch nicht als ergänzende Förderformate. Dabei zeigen Daten, dass Lehrlinge mit nicht-deutscher Erstsprache deutlich häufiger die Berufsausbildung abbrechen oder nicht zur Lehrabschlussprüfung antreten.

Auch im betrieblichen Alltag sind viele Lehrlinge mit sprachlichen Herausforderungen konfrontiert – sei es bei der Kommunikation mit Kund:innen, dem Verständnis von Arbeitsanweisungen oder der schriftlichen Dokumentation von Arbeitsabläufen. Trotzdem gibt es kaum strukturierte Unterstützungsangebote – weder für Lehrlinge noch für Ausbilder:innen.

🧠 Warum das Thema wichtig ist

  • Fachkräftemangel: Wenn junge Menschen aufgrund sprachlicher Barrieren ihre Lehrausbildung nicht erfolgreich abschließen, geht Potenzial verloren – und der Fachkräftemangel verschärft sich weiter.
  • Vielfalt in Teams: Mehrsprachige Lehrlinge bringen nicht nur unterschiedliche Sprachen, sondern auch neue Perspektiven, Erfahrungen und Kompetenzen mit – eine Ressource, die viele Betriebe bisher unterschätzen.
  • Gelingende Integration: Sprache ist Schlüssel zur Integration – nicht nur in die Arbeitswelt, sondern auch ins Team. Hier können Ausbilder:innen entscheidend zur erfolgreichen Einbindung beitragen.

🛠 Handlungsempfehlungen für Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen

1. Sprachsensibler Ausbildungsalltag
Fachbegriffe, Arbeitsanweisungen und Kommunikation im Team können für Lehrlinge mit Deutsch als Zweitsprache eine große Hürde darstellen. Umso wichtiger ist es, auf klare Sprache, Visualisierungen und regelmäßige Rückfragen zu achten.

2. Sprachförderung direkt im Betrieb ermöglichen
Viele Fördermaßnahmen finden ausschließlich in der Berufsschule oder außerhalb der Arbeitszeit statt – mit geringer Wirksamkeit. Warum nicht einmal eine Stunde pro Woche im Betrieb für gezielte Sprachförderung einplanen – mit internen Tandem-Formaten oder externen Sprachtrainer:innen?

3. Auswahlprozesse kritisch reflektieren
Werden Jugendliche mit DaZ systematisch benachteiligt? Einige Betriebe verwenden bei der Auswahl ihrer Lehrlinge Sprachtests, die oft wenig aussagekräftig sind. Eine Reflexion dieser Auswahlverfahren lohnt sich – auch um versteckte Diskriminierung zu vermeiden.

4. Weiterbildung für Ausbilder:innen anbieten
Viele Ausbilder:innen wünschen sich mehr Sicherheit im Umgang mit sprachlich heterogenen Lehrlingen. Kurze, praxisnahe Schulungen zu „Sprachförderung im Ausbildungsalltag“ oder „Einfache Sprache in der Arbeitswelt“ können große Wirkung zeigen.

5. Mehrsprachigkeit wertschätzen – nicht bekämpfen
Statt nur auf Deutsch und Englisch zu fokussieren, kann eine bewusste Einbindung weiterer Sprachen auch zur Motivation beitragen – etwa durch zweisprachige Begrüßungsschilder, Übersetzungshilfen für Fachbegriffe oder gezielte Anerkennung der sprachlichen Fähigkeiten der Lehrlinge.

📣 Fazit: Mehrsprachigkeit als Zukunftskompetenz anerkennen

Sprache ist nicht nur Lernvoraussetzung, sondern auch Lerninhalt. Wer junge Menschen erfolgreich ausbilden will, muss sie sprachlich dort abholen, wo sie stehen. Die duale Ausbildung ist geradezu prädestiniert dafür, Sprache nicht im Klassenzimmer, sondern im echten Berufsalltag zu lernen und anzuwenden. Damit das gelingt, braucht es jedoch mehr als gute Absicht: eine klare Haltung, gezielte Maßnahmen und das Bewusstsein, dass sprachliche Vielfalt nicht nur Herausforderung, sondern eine enorme Chance für die betriebliche Zukunft ist.

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