Lernortkooperation: Wie gut arbeiten Schulen, Betriebe und überbetriebliche Ausbildungszentren zusammen?

Lernortkooperation: Wie gut arbeiten Schulen, Betriebe und überbetriebliche Ausbildungszentren zusammen?
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Das deutsche duale Ausbildungssystem ist international anerkannt und gilt als eines der erfolgreichsten Modelle zur beruflichen Qualifizierung. Doch trotz der positiven Wahrnehmung gibt es immer wieder Kritik an der Zusammenarbeit zwischen den drei zentralen Lernorten: Berufsschulen, Betrieben und überbetrieblichen Ausbildungszentren.

Eine aktuelle Studie von Jana Schwede, Dietmar Heisler und Christian Harteis von der Universität Paderborn, veröffentlicht im Februar 2025, liefert dazu spannende neue Einblicke. Sie zeigt eindrucksvoll, wie unterschiedlich Lernorte zusammenarbeiten – und wo es aus Sicht von Ausbilder:innen, Berufsschullehrkräften, Lehrlingen und überbetrieblichen Trainer:innen noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt.

Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass die Integration von Theorie und Praxis in der dualen Ausbildung nach wie vor mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Zwar sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen klar, doch in der Praxis gibt es nach wie vor zahlreiche Hürden, die eine effektive Kooperation verhindern. Die Studie untersucht die Sichtweisen von Auszubildenden, Berufsschullehrern, Ausbildern in Betrieben und in überbetrieblichen Ausbildungszentren und gibt wichtige Einblicke in die derzeitige Situation.

Hauptbefunde der Studie

  1. Reaktive statt proaktive Kooperation:
    Die Lernortkooperation findet meist nur statt, wenn es Probleme gibt – etwa bei Fehlzeiten, schlechten Leistungen oder Verhaltensauffälligkeiten der Auszubildenden. In solchen Fällen wird meist nur reagiert, anstatt sich kontinuierlich und strategisch auszutauschen. Eine tiefere, systematische Zusammenarbeit, bei der die Lerninhalte zwischen den Lernorten abgestimmt werden, ist die Ausnahme.
  2. Fehlende verbindliche Abstimmung:
    Auch wenn es einen theoretischen Rahmen für die Ausbildung gibt – wie Ausbildungspläne der Kammern oder schulische Curricula – ist die konkrete Umsetzung oft ungenügend. Die Ausbildung wird in den verschiedenen Lernorten häufig unterschiedlich gehandhabt, was zu Unterschieden in den vermittelten Inhalten und der Reihenfolge führt. Die Bemühungen um eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis bleiben häufig an den Ausbildern und Lehrern selbst hängen, ohne dass es übergeordnete Strukturen gibt, die eine umfassende Kooperation gewährleisten.
  3. Hindernisse durch institutionelle Hierarchien:
    Es zeigt sich eine hierarchische Struktur, bei der die Berufsschulen im Vergleich zu den Betrieben eine untergeordnete Rolle spielen. Die Unternehmen dominieren häufig die Lernprozesse und sehen die schulische Ausbildung als weniger wichtig an. Dies führt zu Spannungen zwischen den Akteuren und verhindert eine gleichwertige Zusammenarbeit. Ein Beispiel dafür ist die Einstellung einiger Ausbilder, die den schulischen Anteil der Ausbildung als „nervig“ empfinden und lieber auf die praktische Ausbildung setzen.
  4. Unzureichende Kommunikation zwischen den Lernorten:
    Während es auf den verschiedenen Lernorten gelegentlich zu einem Austausch kommt, etwa bei gemeinsamen Projekten oder „Trainer-Tagen“ an Schulen, ist dies eher die Ausnahme. In vielen Fällen finden die Gespräche nur statt, wenn es zu Problemen kommt. Das bedeutet, dass eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den verschiedenen Institutionen und Ausbildungsstätten fehlt, die notwendig wäre, um die Theorie-Praxis-Verzahnung zu fördern.
  5. Auszubildende nehmen nur wenig wahr:
    Die Auszubildenden, die in der Studie befragt wurden, wussten in der Regel wenig über die konkrete Kooperation zwischen ihren Lehrern und Ausbildern. Sie schätzen jedoch die regelmäßigen Wechsel zwischen Schule und Betrieb als positiv, da sie dadurch die Möglichkeit haben, Theorie und Praxis abwechselnd zu erleben. Dennoch bleibt die Lernortkooperation für die Auszubildenden weitgehend unsichtbar und findet „hinter den Kulissen“ statt.

Schlüsselthemen und Empfehlungen für Ausbilder:innen:

  1. Aktive und regelmäßige Kommunikation fördern:
    Es wird deutlich, dass die Kommunikation zwischen den Beteiligten der Ausbildung – den Berufsschulen, den Betrieben und den überbetrieblichen Ausbildungszentren – intensiviert werden muss. Dabei sollten nicht nur Probleme diskutiert, sondern auch langfristige Ziele und Lerninhalte abgestimmt werden, um eine kontinuierliche Theorie-Praxis-Verbindung zu gewährleisten.
  2. Verbindliche Kooperationsstrukturen schaffen:
    Ein zentrales Element für eine erfolgreiche Lernortkooperation ist die Schaffung von verbindlichen Kooperationsstrukturen. Dies könnte durch regelmäßige Abstimmungsmeetings, ein gemeinsames Verständnis von Ausbildungszielen und ein klar strukturiertes Curriculum erreicht werden. Auch eine stärkere Rolle der internen und externen Koordinatoren könnte dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen den Lernorten zu fördern.
  3. Neue Rollen schaffen:
    Die Studie schlägt vor, die Einführung eines „Lernortkoordinators“ zu prüfen – eine Person, die speziell dafür zuständig ist, die Kooperation zwischen den verschiedenen Lernorten zu koordinieren und zu überwachen. Diese Person könnte dafür sorgen, dass die Inhalte zwischen den Lernorten besser abgestimmt werden und dass die Kooperation nicht nur als reaktive Maßnahme, sondern als strategischer Prozess verstanden wird.
  4. Projektbasierte Lernformate ausbauen:
    Um die Integration von Theorie und Praxis zu verbessern, empfehlen die Studienautor:innen, vermehrt projektbasierte Lernformate einzuführen. In solchen Projekten könnten Auszubildende lernen, konkrete Probleme aus der Praxis mit theoretischem Wissen zu lösen – und zwar in einem interdisziplinären Setting, das alle Lernorte einbezieht. Solche Projekte könnten nicht nur das Wissen vertiefen, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Betrieben und überbetrieblichen Ausbildungszentren stärken.
  5. Digitale Tools gezielt einsetzen:
    Digitale Tools wie elektronische Klassenbücher oder Lernplattformen können die Kooperation erleichtern, wenn sie richtig eingesetzt werden. Allerdings hat die Studie auch gezeigt, dass diese Tools in vielen Fällen die direkte Kommunikation zwischen den Beteiligten sogar verringern. Um die Tools effektiv zu nutzen, müssen sie in ein bestehendes, funktionierendes Kooperationsnetzwerk integriert werden.

Ausblick

Die Lernortkooperation (LLC) ist ein zentrales Thema, wenn es darum geht, die Qualität der dualen Ausbildung zu verbessern. Die Studie macht deutlich, dass hier noch großes Potenzial für Verbesserungen besteht. Wenn es gelingt, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren zu intensivieren, verbindlichere Kooperationsstrukturen zu schaffen und Auszubildende aktiver in die Zusammenarbeit einzubeziehen, kann die Lernortkooperation gestärkt und damit die Ausbildung insgesamt verbessert werden.

Fazit

Obwohl das deutsche duale Ausbildungssystem weltweit als erfolgreich gilt, zeigt die aktuelle Studie, dass die Lernortkooperation noch nicht optimal funktioniert. Es braucht mehr als nur gesetzliche Vorgaben – es braucht echte Kooperation auf allen Ebenen. Die Vorschläge aus der Studie bieten wertvolle Ansätze, wie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Lernorten verbessert werden kann, um Auszubildende noch besser auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten.

Weiterführende Links:
👉 Zur vollständigen Studie