Das A-Z des Lehrvertrags: Von der Probezeit bis zur Behaltepflicht
Mehr als nur ein Job – Die rechtlichen Leitplanken des Lehrverhältnisses
Das Lehrverhältnis ist eine der wichtigsten Säulen für die Entwicklung zukünftiger Fachkräfte. Doch rechtlich gesehen ist es weit mehr als nur ein gewöhnlicher Job. Es handelt sich um ein spezielles, von Natur aus befristetes Arbeitsverhältnis, dessen zentraler und gesetzlich verankerter Zweck die Ausbildung ist. Dieser Ausbildungscharakter verleiht dem Lehrvertrag eine einzigartige rechtliche Struktur mit ganz eigenen Spielregeln, die du als Ausbilderin oder Ausbilder unbedingt kennen und beherrschen musst.
Von den kritischen ersten drei Monaten, in denen die Weichen gestellt werden, über die planmäßigen Wege, wie ein Lehrverhältnis endet, bis hin zu den oft missverstandenen Pflichten, die nach der bestandenen Lehrabschlussprüfung auf dich als Betrieb zukommen – jeder Abschnitt dieses Lebenszyklus hat seine Besonderheiten. Wer diese rechtlichen Leitplanken kennt, sichert nicht nur den eigenen Betrieb ab, sondern schafft auch ein faires und transparentes Umfeld, in dem sich junge Talente optimal entwickeln können. Dieser Leitfaden führt dich durch alle entscheidenden Phasen und gibt dir die Werkzeuge an die Hand, um den gesamten Prozess von Anfang bis Ende rechtssicher zu gestalten.
1. Die Probezeit: Dein entscheidendes dreimonatiges Bewertungsfenster

Die ersten drei Monate eines jeden Lehrverhältnisses sind gesetzlich als Probezeit definiert. Diese Phase ist nicht verhandelbar; sie ist ein zwingender Bestandteil des Berufsausbildungsgesetzes.
Unveränderbare Dauer und einfache Auflösung
Die Dauer der Probezeit ist auf exakt drei Monate festgelegt. Es ist rechtlich unzulässig, diese Frist vertraglich zu verkürzen oder zu verlängern. Eine Klausel im Lehrvertrag, die beispielsweise nur einen Monat Probezeit vorsieht oder diese auf vier Monate ausdehnt, wäre unwirksam.
Während dieses dreimonatigen Fensters gilt eine besondere Regelung: Sowohl du als Lehrbetrieb als auch der Lehrling können das Lehrverhältnis jederzeit und ohne Angabe von Gründen auflösen. Es bedarf keiner Kündigungsfrist und keiner komplizierten Begründung. Eine einfache schriftliche Erklärung genügt, um das Verhältnis zu beenden. Auch wenn das Gesetz keine Schriftform vorschreibt, ist sie aus Beweisgründen dringend anzuraten. Handelt es sich um einen minderjährigen Lehrling, muss bei einer Auflösung seinerseits ein gesetzlicher Vertreter, also in der Regel ein Elternteil, zustimmen.
Die strategische Bedeutung der Probezeit
Diese Flexibilität ist kein Zufall, sondern vom Gesetzgeber bewusst so gestaltet. Sie steht in einem direkten Zusammenhang mit dem, was danach kommt: ein extrem starker Kündigungs- und Entlassungsschutz, der sogenannte besondere Bestandsschutz. Sobald die Probezeit abgelaufen ist, wird es außerordentlich schwierig, ein Lehrverhältnis einseitig zu beenden.
Das bedeutet für dich: Die Probezeit ist das wichtigste strategische Fenster, das du im gesamten Lehrverhältnis hast. Es ist die einzige Phase, in der du eine "Go/No-Go"-Entscheidung auf Basis deiner Einschätzung treffen kannst. Nutze diese Zeit nicht nur, um fachliche Fähigkeiten zu vermitteln, sondern um eine fundierte Bewertung vorzunehmen:
- Passt der Lehrling ins Team und zur Unternehmenskultur?
- Zeigt er oder sie die notwendige Motivation, Zuverlässigkeit und Lernbereitschaft?
- Werden grundlegende Verhaltensregeln wie Pünktlichkeit und die Einhaltung von Anweisungen befolgt?
Ein strukturiertes Evaluationsverfahren mit regelmäßigen Feedbackgesprächen ist hier unerlässlich. Eine verpasste Gelegenheit, während der Probezeit bei ernsthaften Bedenken die Reißleine zu ziehen, kann zu einem jahrelangen, schwierigen und unproduktiven Ausbildungsverhältnis führen, aus dem du rechtlich kaum noch herauskommst.
Sonderfall: Die lehrgangsmäßige Berufsschule
Eine entscheidende Ausnahme, die du kennen musst, betrifft den Besuch einer lehrgangsmäßigen Berufsschule (Blockunterricht). Befindet sich der Lehrling während der ersten drei Monate in der Berufsschule, wird die Probezeit quasi "pausiert" und verlängert sich. Die Logik dahinter ist, dass du als Ausbilder eine faire Chance haben sollst, den Lehrling im betrieblichen Alltag zu bewerten.
Die Regel lautet: Die Probezeit endet erst dann, wenn der Lehrling insgesamt sechs Wochen Ausbildung im Betrieb absolviert hat.
Beispiel: Ein Lehrverhältnis beginnt am 1. September. Nach zwei Wochen im Betrieb geht der Lehrling für acht Wochen in den Blockunterricht. Die reguläre Dreimonatsfrist würde am 30. November enden. Da der Lehrling aber erst zwei Wochen im Betrieb war, läuft die Probezeit nach seiner Rückkehr aus der Schule noch vier Wochen weiter, um die vollen sechs Wochen Betriebspraxis zu erreichen. In diesem Fall kann das Lehrverhältnis also auch noch im Dezember oder sogar Januar im Rahmen der Probezeit aufgelöst werden.
Wichtige Klarstellung zum Krankenstand
Im Gegensatz zum Berufsschulbesuch führt ein Krankenstand des Lehrlings nicht zu einer Verlängerung der Probezeit. Ist der Lehrling innerhalb der ersten drei Monate krank, läuft die Frist unverändert weiter.
2. Das reguläre Ende: Wenn die Ausbildung planmäßig ausläuft
Abgesehen von der Auflösung in der Probezeit oder einer seltenen vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund endet ein Lehrverhältnis typischerweise auf zwei reguläre, automatische Weisen. Hier ist keine Kündigung oder gesonderte Vereinbarung notwendig.

Szenario A: Ablauf der Lehrzeit
Die häufigste und einfachste Form der Beendigung ist der Ablauf der im Lehrvertrag festgelegten Lehrzeit. Das Lehrverhältnis ist ein befristeter Vertrag, der mit dem letzten Tag der für den jeweiligen Lehrberuf vorgeschriebenen Ausbildungsdauer automatisch endet. Wenn die Lehrzeit beispielsweise drei Jahre beträgt und am 31. August endet, ist dies der letzte Tag des Lehrverhältnisses.
Szenario B: Erfolgreiche Lehrabschlussprüfung (LAP)
Besteht der Lehrling seine Lehrabschlussprüfung bereits vor dem offiziellen Ende der Lehrzeit, so endet das Lehrverhältnis früher. Das Gesetz liefert hier eine sehr präzise Regelung: Das Lehrverhältnis endet mit dem Ablauf jener Woche, in der die Prüfung erfolgreich abgelegt wurde. In der Praxis bedeutet das, dass der letzte Tag des Lehrverhältnisses in der Regel der Sonntag dieser Prüfungswoche ist.
Diese Regelung schafft einen Anreiz für gute Leistungen und ermöglicht es dem Unternehmen, eine qualifizierte Fachkraft früher als geplant zu beschäftigen – was direkt zum nächsten Thema, der Behaltepflicht, überleitet. Die Vorhersehbarkeit dieser Enddaten ist ein großer Vorteil für deine Personalplanung, da du den Übergang vom Lehrling zur Fachkraft frühzeitig und strukturiert vorbereiten kannst.
Für die Vollständigkeit sei erwähnt, dass das Gesetz auch andere, sehr seltene Beendigungsgründe vorsieht, wie den Tod des Lehrlings oder den Entzug der Ausbildungsberechtigung des Lehrbetriebs. Diese führen ebenfalls zu einem automatischen Ende des Vertrags.
Überblick: Die wichtigsten Beendigungsarten des Lehrverhältnisses
Art der Beendigung | Wann möglich? | Wichtige Hinweise für dich als Ausbilder:in |
Auflösung in der Probezeit | Erste 3 Monate (oder bis 6 Wochen Betriebspraxis bei Blockunterricht) | Jederzeit, ohne Grund und Frist möglich. Deine wichtigste strategische Phase zur Eignungsprüfung! |
Ablauf der Lehrzeit | Am letzten Tag der vorgeschriebenen Lehrzeit | Endet automatisch, keine Kündigung nötig. Plane den Übergang zur Behaltepflicht rechtzeitig. |
Erfolgreiche LAP | Mit Ende der Woche, in der die Prüfung bestanden wurde | Endet automatisch und vorzeitig. Gratuliere und bereite den Vertrag für die Behaltepflicht vor. |
Einvernehmliche Auflösung | Jederzeit während des gesamten Lehrverhältnisses | Erfordert Schriftform und bei Minderjährigen eine Belehrung durch ein Gericht über die Folgen. Nur eine Option, wenn beide Seiten es wirklich wollen. |
3. Die Behaltepflicht: Deine Verantwortung nach der Prüfung
Nachdem ein Lehrling die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, endet deine Verantwortung nicht abrupt. Das Gesetz sieht eine sogenannte "Behaltepflicht" vor. Das bedeutet, du bist als Arbeitgeber verpflichtet, den frisch ausgelernten Fachkräften eine Weiterbeschäftigung anzubieten.

Dauer: Gesetzliches Minimum vs. Kollektivvertrag
Die gesetzliche Mindestdauer für diese Weiterbeschäftigung beträgt drei Monate. In dieser Zeit muss der ehemalige Lehrling im erlernten Beruf weiterbeschäftigt werden.

Hier lauert jedoch eine der häufigsten und teuersten Fallen für Ausbildungsbetriebe: Der für dich geltende Kollektivvertrag kann eine längere Behaltefrist vorschreiben. Dieser Grundsatz ist ein zentrales Element des österreichischen Arbeitsrechts: Der Kollektivvertrag kann für Arbeitnehmer immer nur günstigere (also in diesem Fall längere) Regelungen vorsehen als das Gesetz.
Ein klassisches Beispiel ist der Kollektivvertrag für Angestellte im Handel, der eine Behaltepflicht von fünf Monaten vorschreibt. Ein Handelsbetrieb, der nur die gesetzlichen drei Monate kennt und dem Mitarbeiter nach dieser Zeit kündigt, riskiert eine kostspielige Anfechtungsklage.
Daher lautet die wichtigste Regel in diesem Zusammenhang: Prüfe unbedingt deinen Kollektivvertrag! Die Kenntnis der spezifischen Regelungen deines Kollektivvertrags ist kein "Nice-to-have", sondern eine absolute Notwendigkeit für eine rechtssichere Personalverwaltung.
Sonderregel: Halbierung der Frist bei kurzem Ausbildungsverhältnis
Eine weitere wichtige Ausnahme betrifft Lehrlinge, die während ihrer Ausbildung den Betrieb gewechselt haben. Hat der Lehrling die Hälfte oder weniger seiner gesamten Lehrzeit bei dir im Betrieb verbracht, so halbiert sich die gesetzliche oder kollektivvertragliche Behaltepflicht.

Beispiel: Ein Lehrling hat eine dreijährige Lehrzeit. Er war die ersten zwei Jahre in einem anderen Betrieb und wechselt für das letzte Jahr zu dir. Da er weniger als die Hälfte (1,5 Jahre) bei dir war, reduziert sich eine gesetzliche Behaltepflicht von drei Monaten auf 1,5 Monate.
4. Praxistipp: So gestaltest du die Weiterbeschäftigung rechtssicher
Eines der wichtigsten Details zur Behaltepflicht ist, dass sie keine automatische Verlängerung des alten Lehrvertrags darstellt. Stattdessen verpflichtet das Gesetz dich als Arbeitgeber, dem Lehrling den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags anzubieten. Juristen sprechen hier von einer "Kontrahierungspflicht" – der Pflicht, einen Vertrag anzubieten.
Genau an diesem Übergangspunkt hast du die Möglichkeit, die Weichen für die Zukunft zu stellen und eine häufige rechtliche Falle zu umgehen.
Der entscheidende Tipp: Biete einen befristeten Arbeitsvertrag an
Um deine Verpflichtung zu erfüllen und gleichzeitig maximale Flexibilität zu wahren, solltest du dem ausgelernten Lehrling einen befristeten Arbeitsvertrag anbieten. Die Befristung dieses Vertrags sollte exakt der Dauer der für dich geltenden Behaltepflicht entsprechen (also z.B. drei oder fünf Monate).

Dieser befristete Vertrag endet dann nach Ablauf der Frist automatisch, ohne dass eine Kündigung erforderlich ist. Du erfüllst damit deine gesetzliche Pflicht zu 100 % und behältst die volle Kontrolle.
Warum das so wichtig ist: Die Falle des unbefristeten Vertrags
Was passiert, wenn du diesen Schritt unterlässt? Wenn der Lehrling nach der Prüfung einfach weiter zur Arbeit kommt, du ihm Aufgaben gibst und er sein Gehalt bekommt, entsteht durch dieses schlüssige Verhalten ein neues, unbefristetes Arbeitsverhältnis.
Die Konsequenz: Der Mitarbeiter ist nun ein regulärer Angestellter oder Arbeiter mit vollem Kündigungsschutz. Wenn du ihn nach Ablauf der drei oder fünf Monate nicht mehr weiterbeschäftigen möchtest, musst du eine formelle Kündigung unter Einhaltung aller Fristen und Termine aussprechen, die unter Umständen sozial ungerechtfertigt und damit anfechtbar sein kann.
Das aktive Aufsetzen eines befristeten Vertrags ist somit kein bürokratischer Mehraufwand, sondern ein proaktives Instrument zur Risikosteuerung. Es trennt den vorübergehenden Zustand der Behaltepflicht sauber von einer möglichen dauerhaften Anstellung und bewahrt dich davor, ungewollt langfristige Verpflichtungen einzugehen. Dies ist der Unterschied zwischen passivem Reagieren und professionellem, vorausschauendem Personalmanagement.
5. Der besondere Bestandsschutz: Ein Schutzschild mit Konsequenzen
Während der gesamten Dauer des Lehrverhältnisses – ab dem ersten Tag nach Ende der Probezeit bis zum allerletzten Tag der Behaltepflicht – genießt der Lehrling einen besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz. Dieses rechtliche Schutzschild ist extrem robust und macht eine einseitige Beendigung des Verhältnisses durch den Arbeitgeber außerordentlich schwierig.

Eine Kündigung ist nach der Probezeit praktisch ausgeschlossen. Eine vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund (Entlassung) ist nur bei Vorliegen schwerwiegender, im Berufsausbildungsgesetz taxativ aufgezählter Gründe möglich. Dazu gehören beispielsweise strafbare Handlungen, die den Lehrling des Vertrauens unwürdig machen, oder die beharrliche Vernachlässigung der Pflichten trotz wiederholter Ermahnung. Die Hürden, die die Gerichte hier anlegen, sind sehr hoch.
Dieser umfassende Schutz untermauert einmal mehr die strategische Wichtigkeit der Probezeit. Die Entscheidung, die du am Ende der ersten drei Monate triffst, hat direkte rechtliche Konsequenzen für die nächsten Jahre. Der Gesetzgeber gewährt dir dieses flexible Bewertungsfenster am Anfang gerade weil die rechtliche Mauer danach so hoch ist.
Sogar während der Behaltefrist, wenn der Lehrling bereits eine ausgebildete Fachkraft ist, wirkt dieser besondere Schutz weiter. Eine Kündigung während der Behaltezeit ist nicht nur an die allgemeinen Kündigungsgründe gebunden, sondern erfordert zusätzlich ein formales Verfahren: Du musst einen Antrag bei der zuständigen Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft stellen, die der Kündigung zustimmen muss.
Fazit: Rechtssicherheit als Fundament für deine zukünftigen Fachkräfte
Die rechtssichere Verwaltung eines Lehrverhältnisses erfordert Sorgfalt und ein Verständnis für die Details, die über den normalen Arbeitsvertrag hinausgehen. Wenn du die zentralen Spielregeln des Lebenszyklus eines Lehrvertrags verinnerlichst, schaffst du nicht nur Sicherheit für deinen Betrieb, sondern legst auch den Grundstein für eine erfolgreiche und faire Ausbildung.
Die drei wichtigsten Erkenntnisse für deine Praxis sind:
- Nutze die Probezeit strategisch: Sie ist deine einmalige und wichtigste Gelegenheit für eine fundierte Eignungsprüfung und eine unkomplizierte Trennung, falls es nicht passt.
- Kenne deinen Kollektivvertrag: Das Gesetz ist nur die Basis. Dein anwendbarer Kollektivvertrag definiert die wahre Dauer deiner Verpflichtungen, insbesondere bei der Behaltepflicht.
- Agier aktiv bei der Behaltepflicht: Gestalte den Übergang bewusst, indem du einen befristeten Vertrag für die Dauer der Behaltefrist aufsetzt. So vermeidest du die Falle eines ungewollten unbefristeten Dienstverhältnisses und wahrst deine unternehmerische Flexibilität.
Indem du diese Punkte beherzigst, agierst du nicht nur rechtlich einwandfrei, sondern beweist auch Professionalität im Umgang mit dem wertvollsten Gut deines Unternehmens: den Fachkräften von morgen.