8. Teil Ausbilderprüfung - Die Probezeit

In dieser Serie bereiten wir die wichtigsten Themen der österreichischen Ausbilderprüfung verständlich und praxisnah auf, damit du für die Prüfung perfekt gerüstet bist und den Ausbildungsalltag souverän meisterst – egal, ob Einsteiger oder erfahrene:r Ausbilder:in!

8. Teil Ausbilderprüfung - Die Probezeit
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Hallo, liebe Ausbilderin, lieber Ausbilder!

Die Entscheidung ist gefallen, der Lehrvertrag ist unterschrieben und ein neuer, junger Mensch startet voller Erwartungen in deinem Betrieb. Damit beginnen nicht nur für den Lehrling, sondern auch für dich und dein Unternehmen entscheidende Wochen. Die Rede ist von der Probezeit – einer Phase, die weit mehr ist als nur ein gegenseitiges Beschnuppern. Sie ist die strategisch wichtigste Etappe der gesamten Lehrzeit.

Die ersten drei Monate sind eine Bewährungsprobe für beide Seiten. Der Lehrling prüft, ob der Beruf und dein Betrieb zu ihm passen. Du wiederum evaluierst, ob der Lehrling die nötige Eignung, Motivation und Persönlichkeit für eine erfolgreiche Ausbildung mitbringt. Das Gesetz macht eine Trennung in dieser Phase zwar formal einfach, doch die Entscheidung selbst ist komplex und verantwortungsvoll. Denn nach Ablauf dieser Frist greifen umfassende Schutzbestimmungen, die eine Auflösung des Lehrverhältnisses extrem erschweren. Die Probezeit ist also dein einziges Zeitfenster, um auf eine Fehleinschätzung mit geringem rechtlichen und finanziellen Risiko zu reagieren.  

Dieser Artikel ist dein Kompass für diese kritische Phase. Wir beleuchten die knallharten rechtlichen Fakten, geben dir eine prozesssichere Anleitung für den Ernstfall und zeigen dir mit Best Practices, wie du die Probezeit so gestaltest, dass sie den Grundstein für ein erfolgreiches und langfristiges Lehrverhältnis legt.

Die rechtlichen Eckpfeiler der Probezeit: Was du als Ausbilder:in wissen musst

Um die Probezeit strategisch nutzen zu können, musst du ihre rechtlichen Rahmenbedingungen felsenfest kennen. Diese sind nicht verhandelbar und bilden die Basis für all deine Entscheidungen.

Die gesetzliche Grundlage: § 15 Berufsausbildungsgesetz (BAG)

Das Wichtigste zuerst: Die Probezeit ist keine freiwillige Vereinbarung, die du in den Lehrvertrag aufnehmen kannst oder nicht. Sie ist in § 15 des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) zwingend vorgeschrieben und gilt automatisch für jedes Lehrverhältnis in Österreich.Sie beginnt mit dem ersten Tag der Lehrzeit.

Dauer: Fixe drei Monate

Die gesetzliche Probezeit dauert exakt drei Monate.Dieser Zeitraum ist fix und kann vertraglich weder verkürzt noch verlängert werden.Diese starre Frist schafft für beide Seiten eine klare und verlässliche Planungsgrundlage. Der unumstößliche Stichtag am Ende des dritten Monats erzeugt jedoch auch einen gewissen Druck. Für dich als Ausbilder:in bedeutet das, eine fundierte Entscheidung auf Basis einer begrenzten Datenlage treffen zu müssen. Bedenke dabei, dass gerade junge Menschen am Anfang ihrer Karriere Entwicklungsphasen durchlaufen. Nicht jede anfängliche Schwierigkeit ist ein Zeichen für grundsätzliche Nichteignung. Deine Aufgabe ist es, zu unterscheiden: Handelt es sich um vorübergehende Anpassungsprobleme oder um fundamentale Defizite in Eignung oder Einstellung?  

Das Kernprinzip: Jederzeitige, grundlose, fristlose Auflösung

Das Herzstück der Probezeitregelung ist die vereinfachte Auflösungsmöglichkeit. Sowohl du als Lehrberechtigter als auch der Lehrling können das Lehrverhältnis während dieser drei Monate einseitig beenden.Das bedeutet konkret:  

  • Jederzeit: Die Auflösung kann an jedem beliebigen Tag innerhalb der drei Monate erfolgen.
  • Grundlos: Du musst im Auflösungsschreiben keinen Grund für deine Entscheidung angeben.
  • Fristlos: Das Lehrverhältnis endet mit sofortiger Wirkung, sobald die schriftliche Auflösung zugeht.

Klarstellung: „Probezeit ist Lehrzeit“

Ein häufiges Missverständnis muss ausgeräumt werden: Die Probezeit ist keine „Vor-Lehre“. Sie zählt voll zur vereinbarten Lehrzeit und der Lehrling hat vom ersten Tag an Anspruch auf das volle, kollektivvertragliche Lehrlingseinkommen.Es handelt sich um ein vollwertiges Lehrverhältnis, lediglich mit einer vereinfachten Beendigungsmöglichkeit.  

Achtung, Sonderfall! Die Probezeit bei lehrgangsmäßiger Berufsschule

Eine der häufigsten und teuersten Fehlerquellen betrifft Lehrlinge, die eine lehrgangsmäßige Berufsschule, also einen Blockunterricht, besuchen. Hier weicht die Berechnung der Probezeit vom Standard ab, was du unbedingt kennen und beachten musst.

Die Regel im Detail

Besucht der Lehrling während der ersten drei Kalendermonate nach Lehrbeginn für längere Zeit eine lehrgangsmäßige Berufsschule, so gilt eine Sonderregelung: Als Probezeit gelten in diesem Fall die ersten sechs Wochen der tatsächlichen Ausbildung im Betrieb

Diese Regelung verdeutlicht die Absicht des Gesetzgebers: Die Probezeit dient der Evaluierung der praktischen Eignung und des Verhaltens im Arbeitsumfeld. Da du während des Blockunterrichts keine Möglichkeit hast, den Lehrling im Betrieb zu beobachten und anzuleiten, wird die "Probezeit-Uhr" quasi angehalten, um dir den vollen, fairen Beurteilungszeitraum zu gewähren. 

Praxisbeispiele zur Verdeutlichung

  • Standardfall (ganzjährige Berufsschule): Lehrbeginn ist der 1. September. Der Lehrling besucht wöchentlich die Berufsschule. Die Probezeit endet klar am 30. November.
  • Sonderfall (lehrgangsmäßige Berufsschule): Lehrbeginn ist der 1. September. Der Lehrling ist vom 1. Oktober bis zum 30. November im Berufsschul-Lehrgang.
    • Die Probezeit läuft vom 1. September bis zum 30. September (ca. 4,3 Wochen im Betrieb).
    • Während des Schulblocks vom 1. Oktober bis 30. November ist die Probezeit unterbrochen.
    • Ab dem 1. Dezember läuft die Frist weiter. Es fehlen noch ca. 1,7 Wochen auf die vollen sechs Wochen.
    • Die Probezeit endet in diesem Fall also erst Mitte Dezember.

Dein To-Do: Akribische Dokumentation

Für dich als Ausbilder:in ist es daher unerlässlich, die Anwesenheitstage des Lehrlings im Betrieb exakt zu dokumentieren. Nur so kannst du das korrekte Ende der Probezeit berechnen und rechtssicher handeln. Im Zweifelsfall ist eine Rücksprache mit der Lehrlingsstelle deiner Wirtschaftskammer immer ratsam.

Die Auflösung in der Probezeit: Ein prozesssicherer Leitfaden

Auch wenn das Ziel immer eine erfolgreiche Ausbildung ist, kann es vorkommen, dass eine Trennung unumgänglich ist. In diesem Fall ist es entscheidend, den Prozess absolut fehlerfrei abzuwickeln, um rechtliche Fallstricke zu vermeiden.

Das A und O: Die Schriftform (Schriftformgebot)

Eine mündliche Auflösung des Lehrverhältnisses ist rechtlich unwirksam.Die Auflösung muss zwingend schriftlich erfolgen. Das bedeutet: ein physisches, eigenhändig unterschriebenes Dokument. Eine E-Mail oder eine mündliche Mitteilung genügen nicht und können die Auflösung angreifbar machen. 

Inhalt des Auflösungsschreibens

Das Schreiben selbst kann kurz und formlos sein, muss aber folgende Punkte enthalten:

  • Klare Bezeichnung der Vertragsparteien (Lehrberechtigter und Lehrling).
  • Die unmissverständliche Erklärung, dass das Lehrverhältnis während der Probezeit aufgelöst wird.
  • Das Datum, an dem die Auflösung wirksam wird (in der Regel sofort).

Wie bereits erwähnt, muss kein Grund angegeben werden. Es ist sogar ratsam, darauf zu verzichten, um keine unnötigen Angriffsflächen zu bieten. Musterformulare für die Auflösung findest du bei der Wirtschaftskammer (WKO) oder der Arbeiterkammer (AK). 

Der Zugangsnachweis ist entscheidend

Du musst im Streitfall beweisen können, dass der Lehrling das Auflösungsschreiben vor dem Ende der Probezeit erhalten hat. Die sicherste Methode ist die persönliche Übergabe gegen eine schriftliche Empfangsbestätigung.

Sonderfall Minderjährigkeit

Löst ein minderjähriger Lehrling von sich aus das Lehrverhältnis auf, ist die Unterschrift seiner gesetzlichen Vertreter (in der Regel beider Elternteile) für die Gültigkeit zwingend erforderlich. 

Die Meldekette nach der Auflösung

Nach der wirksamen Auflösung bist du verpflichtet, diese unverzüglich an mehrere Stellen zu melden:

  1. Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer: Dies ist eine gesetzliche Anzeigepflicht. 
  2. Zuständige Berufsschule: Damit der Lehrling dort abgemeldet wird. 
  3. Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK): Der Lehrling muss vom Versicherungsschutz abgemeldet werden. 

Die Einhaltung dieser formalen Schritte ist nicht nur eine lästige Pflicht. Sie ist ein Zeichen von Professionalität gegenüber den Aufsichtsbehörden und schützt dich vor späteren administrativen Problemen. Einwandfreie Prozeduren sind dein Schutzschild.

Der feine Unterschied: Kündigungsschutz in und nach der Probezeit

Um die immense Bedeutung der Probezeit wirklich zu verstehen, musst du wissen, was danach kommt. Der Kontrast könnte kaum größer sein.

Kein besonderer Schutz in der Probezeit

Während der Probezeit gibt es keinen besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz.Das bedeutet, dass selbst für Personengruppen, die normalerweise einen erhöhten Schutz genießen, die vereinfachte, grundlose Auflösungsmöglichkeit gilt. Dazu zählen insbesondere:  

  • Schwangere Lehrlinge (der Schutz des Mutterschutzgesetzes greift hier nicht).
  • Lehrlinge, die einen Einberufungsbefehl zum Präsenz- oder Zivildienst erhalten.
  • Begünstigte Behinderte nach dem Behinderteneinstellungsgesetz.
  • Mitglieder des Jugendvertrauensrates.

Die Welt nach der Probezeit: Ein festgefahrenes Verhältnis

Sobald der 91. Tag des Lehrverhältnisses anbricht, ist dieses rechtlich "zementiert". Eine einseitige Auflösung durch dich als Lehrberechtigten ist nur noch in extremen Ausnahmefällen möglich, die gesetzlich eng definiert sind:

  1. Einvernehmliche Auflösung: Hierfür brauchst du nicht nur die Zustimmung des Lehrlings, sondern dieser muss sich zuvor von der Arbeiterkammer oder einem Gericht über seine Rechte belehren lassen. Erst mit dieser Bestätigung wird die Auflösung wirksam – eine hohe Hürde. 
  2. Entlassung: Diese ist nur bei schwerwiegenden Gründen wie Diebstahl, beharrlicher Arbeitsverweigerung trotz Ermahnung oder tätlichen Angriffen möglich. Eine schlechte Arbeitsleistung oder ein "schwieriger Charakter" sind keine Entlassungsgründe. 
  3. Außerordentliche Auflösung: Diese Option besteht für den Lehrberechtigten nur zum Ende des ersten oder zweiten Lehrjahres und setzt ein verpflichtendes, von dir zu bezahlendes Mediationsverfahren voraus, das vor der Auflösungserklärung stattfinden muss. 

Diese komplexe und für den Betrieb riskante Rechtslage nach der Probezeit macht deutlich: Die Probezeit ist das wichtigste präventive Instrument, das dir das Gesetz an die Hand gibt. Eine sorgfältige und aktive Nutzung dieser Phase ist keine Option, sondern eine betriebswirtschaftliche und rechtliche Notwendigkeit, um spätere, kaum lösbare Probleme zu vermeiden.

Best Practices: So wird die Probezeit zum Erfolg für beide Seiten

Die Probezeit sollte nicht nur als rechtliches Damoklesschwert gesehen werden, sondern als aktive Gestaltungsphase. Mit den richtigen Werkzeugen machst du sie zu einer fairen und transparenten Evaluierung, die im besten Fall in einer starken, langfristigen Bindung mündet.

Struktur statt Zufall: Der Einarbeitungsplan

Überlasse die ersten Wochen nicht dem Zufall. Erstelle einen einfachen Einarbeitungsplan für die ersten Monate. Dieser sollte festlegen, welche grundlegenden Fertigkeiten der Lehrling wann lernen soll, welche Aufgaben er übernimmt und wer im Team für welche Einweisung zuständig ist.Das gibt dem Lehrling Orientierung und dir eine Struktur für die Bewertung.  

Die Macht des Feedbacks: Regelmäßige, dokumentierte Gespräche

Kommunikation ist der Schlüssel. Plane fixe Feedbackgespräche ein, zum Beispiel nach der ersten Woche, nach dem ersten Monat und ein entscheidendes Gespräch zur "Halbzeit" nach sechs Wochen.Nutze diese Termine, um:  

  • Erwartungen klar zu formulieren.
  • Konstruktive Kritik zu üben.
  • Gezielt Lob für gute Leistungen auszusprechen.
  • Fragen des Lehrlings zu beantworten.

Halte die wichtigsten Punkte dieser Gespräche schriftlich fest. Das schafft eine nachvollziehbare Entwicklungshistorie.

Transparenz durch klare Ziele

Ein Lehrling kann nur dann erfolgreich sein, wenn er weiß, was von ihm erwartet wird. Definiere klare und erreichbare Ziele für die Probezeit. Was soll der Lehrling am Ende der drei Monate können? Welchen Grad an Selbstständigkeit erwartest du? 

Beobachtungs-Checkliste für die Probezeit

Um deine Beobachtungen zu systematisieren und von einem reinen "Bauchgefühl" zu einer faktenbasierten Entscheidung zu kommen, hat sich eine einfache Checkliste bewährt. Sie hilft dir, alle relevanten Aspekte im Blick zu behalten und dient als hervorragende Grundlage für deine Feedbackgespräche.

Kompetenzbereich

Beobachtungspunkte

Bewertung & Notizen (Beispiele)

Fachliche Kompetenz

Lernbereitschaft & Auffassungsgabe

Woche 2: Fragt viel nach, setzt Anweisungen aber schnell um.

Qualität der Arbeit & Sorgfalt

Woche 6: Arbeit wird genauer, Fehlerquote sinkt. Muss noch auf Sauberkeit am Arbeitsplatz achten.

Umgang mit Werkzeug/Material

Woche 10: Geht verantwortungsvoll mit Geräten um, Materialverbrauch ist angemessen.

Soziale Kompetenz

Teamfähigkeit & Integration

Woche 2: Hält sich noch zurück, aber freundlich. Woche 6: Bietet Kollegen von sich aus Hilfe an.

Kommunikationsfähigkeit

Woche 6: Meldet Probleme jetzt frühzeitig, anstatt lange selbst zu probieren.

Umgang mit Kritik

Woche 2: Reagiert auf Kritik anfangs unsicher, setzt Korrekturen aber um.

Personale Kompetenz

Motivation & Engagement

Woche 6: Zeigt Eigeninitiative, fragt nach neuen Aufgaben.

Pünktlichkeit & Verlässlichkeit

Durchgehend: Sehr pünktlich, meldet sich bei Krankheit korrekt und rechtzeitig.

Einhaltung von Regeln

Woche 2: Hinweis auf Handyverbot am Arbeitsplatz war nötig, seitdem eingehalten.

Fazit: Dein Kompass für die Praxis

Die Probezeit ist deine wichtigste Weichenstellung im gesamten Lehrverhältnis. Nutze sie aktiv, fair und mit der nötigen Sorgfalt.

Merke dir die drei wichtigsten Eckpfeiler:

  1. Drei Monate, nicht verhandelbar: Die Frist ist fix und muss genau im Auge behalten werden.
  2. Schriftlich und grundlos: Eine Auflösung muss schriftlich erfolgen, braucht aber keine Begründung.
  3. Achtung, Blockunterricht: Bei lehrgangsmäßiger Berufsschule gelten die ersten sechs Wochen im Betrieb als Probezeit.

Indem du die rechtlichen Rahmenbedingungen kennst und die Probezeit mit einem klaren Plan, regelmäßigen Gesprächen und einer fairen Bewertung gestaltest, schaffst du die bestmögliche Basis. Entweder für eine fundierte und rechtssichere Trennungsentscheidung oder – und das ist immer das Ziel – für den Beginn einer erfolgreichen und für beide Seiten gewinnbringenden Ausbildung. Du trägst als Ausbilder:in die Verantwortung, die Weichen richtig zu stellen – für den jungen Menschen und für dein Unternehmen.