5. Teil Ausbilderprüfung - Der Lehrvertrag
In dieser Serie bereiten wir die wichtigsten Themen der österreichischen Ausbilderprüfung verständlich und praxisnah auf, damit du für die Prüfung perfekt gerüstet bist und den Ausbildungsalltag souverän meisterst – egal, ob Einsteiger oder erfahrene:r Ausbilder:in!
1. Einleitung: Das Fundament für eine erfolgreiche Lehre
Du hast den perfekten Lehrling gefunden. Die Chemie stimmt, die Motivation ist hoch. Jetzt geht es an den „Papierkram“. Aber Vorsicht: Der Lehrvertrag ist weit mehr als das. Er ist das Fundament, auf dem die gesamte Ausbildung ruht. Ein Fehler hier kann später zu ernsthaften Problemen führen. Dieses Dokument ist sozusagen das „Grundgesetz“ eurer Ausbildungsbeziehung; es schafft Klarheit, Sicherheit und Verbindlichkeit für dich und für dein neues Teammitglied.
Dieser Artikel führt dich sicher durch alle formalen und rechtlichen Anforderungen. Du erfährst:
- Warum der Vertrag schriftlich sein muss und was passiert, wenn er es nicht ist.
- Wer genau den Vertrag unterschreiben muss – und warum die Unterschrift der Eltern bei Minderjährigen so eine entscheidende Rolle spielt.
- Wie viele Exemplare des Vertrags nötig sind und wer sie bekommt.
- Welche Inhalte absolut zwingend in den Vertrag gehören.
- Welche Fristen du auf keinen Fall verpassen darfst.
Die strengen formalen Anforderungen sind dabei keine willkürlichen bürokratischen Hürden. Sie stellen ein hochentwickeltes System dar, das Risiken für alle Beteiligten minimiert und die Qualität der dualen Ausbildung sichert. Für dich als Lehrbetrieb bedeutet der korrekte Vertrag Rechtssicherheit. Für den Lehrling garantiert er, dass seine Rechte gewahrt werden. Und für die Sozialpartner, wie die Wirtschaftskammer (WKO) und die Arbeiterkammer (AK), ist er das zentrale Instrument zur Überwachung und Sicherstellung einheitlicher Standards im gesamten Ausbildungssystem.
2. Die Vertragspartner: Wer muss den Stift ansetzen?
Ein Vertrag braucht immer mindestens zwei Parteien. Im Fall des Lehrvertrags sind die Rollen klar verteilt, doch es gibt einen wichtigen Sonderfall zu beachten.
2.1 Der Lehrberechtigte und der Lehrling
Die beiden Hauptakteure sind der „Lehrberechtigte“ und der „Lehrling“.
- Der Lehrberechtigte: Das ist die natürliche oder juristische Person (also z. B. du als Einzelunternehmer oder deine GmbH), die zur Ausbildung von Lehrlingen befugt ist.Du kannst die Ausbildung selbst durchführen oder einen qualifizierten Ausbilder damit betrauen.
- Der Lehrling: Das ist die Person, die im Rahmen eines Lehrvertrags einen anerkannten Lehrberuf erlernt.
2.2 Der entscheidende Sonderfall: Minderjährige Lehrlinge
Die mit Abstand häufigste Konstellation in der Praxis ist die Ausbildung von minderjährigen Lehrlingen. Hier kommt eine dritte, entscheidende Partei ins Spiel: der gesetzliche Vertreter.
Die Kernregel lautet unmissverständlich: Für jeden Lehrling, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist der Lehrvertrag nur mit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gültig.In der Regel sind das die Eltern.
Hierbei offenbart das Gesetz eine bemerkenswerte und praxisrelevante Unterscheidung zwischen dem Abschluss und der Auflösung des Vertrags.
- Für den Abschluss des Lehrvertrags bei aufrechter Ehe der Eltern genügt in der Regel die Unterschrift eines Elternteils.Dies vereinfacht den Prozess des Zustandekommens.
- Für die vorzeitige Auflösung eines Lehrvertrags bei einem Minderjährigen ist hingegen die Unterschrift beider erziehungsberechtigter Elternteile erforderlich.
Diese Asymmetrie ist kein Zufall, sondern folgt einer klaren Schutzlogik. Der Gesetzgeber erleichtert den Einstieg in die Ausbildung, schafft aber eine höhere Hürde für deren vorzeitigen Abbruch. Damit soll der Lehrling davor geschützt werden, dass eine überstürzte Entscheidung eines einzelnen Elternteils oder ein elterlicher Konflikt seine berufliche Zukunft gefährdet. Für dich als Ausbilder bedeutet das: Wenn eine einvernehmliche Auflösung im Raum steht, musst du unbedingt die Zustimmung beider Elternteile einholen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein.
Bei geschiedenen oder getrenntlebenden Eltern ist die Person vertretungsbefugt, die mit der Obsorge betraut ist. Im Zweifelsfall solltest du dir einen entsprechenden Nachweis (z. B. den Obsorgebescheid) vorlegen lassen, um absolute Rechtssicherheit zu haben.
3. Die Formvorschriften: Mehr als nur Papierkram
Die formalen Regeln sind die technischen Spezifikationen, die die rechtliche Integrität und Durchsetzbarkeit des Vertrags garantieren. Sie zu kennen und einzuhalten, ist unerlässlich.
3.1 Das Gebot der Schriftform: Dein Sicherheitsnetz
Der Lehrvertrag muss schriftlich abgeschlossen werden.Diese Vorschrift erfüllt drei wichtige Funktionen:
- Beweisfunktion: Ein schriftliches Dokument liefert klaren und unbestreitbaren Beweis über die vereinbarten Konditionen (Lehrzeit, Einkommen, Ausbildungsort etc.). Das verhindert spätere Streitigkeiten.
- Warnfunktion: Der formale Akt des Unterschreibens macht allen Parteien die Ernsthaftigkeit und die langfristige Natur der eingegangenen Verpflichtung bewusst.
- Klarstellungsfunktion: Es zwingt die Vertragspartner, die Bedingungen präzise zu formulieren, was weniger Raum für Missverständnisse und Unklarheiten lässt.
Nun gibt es eine interessante rechtliche Nuance: Das Berufsausbildungsgesetz (BAG) legt in § 12 Abs. 7 fest, dass die Nichteinhaltung der Schriftform keine Nichtigkeit des Vertrags bewirkt.In der Praxis bedeutet das, dass auch ohne schriftlichen Vertrag ein sogenanntes „faktisches Lehrverhältnis“ entstehen kann, in dem der Lehrling durch das Arbeitsrecht geschützt ist. Für dich als Lehrbetrieb ist dieser Zustand jedoch extrem gefährlich und unbedingt zu vermeiden. Ohne einen registrierten, schriftlichen Vertrag hast du keinen offiziellen Nachweis über das Lehrverhältnis, was zu massiven Problemen mit der Lehrlingsstelle, der Sozialversicherung und bei der Lehrabschlussprüfung führen kann.
3.2 Vier gewinnt: Die vier Ausfertigungen und ihr Zweck
Der Lehrvertrag muss in vier identischen Exemplaren (Ausfertigungen) erstellt und unterzeichnet werden.Diese Vervielfältigung ist kein unnötiger Papieraufwand, sondern ein ausgeklügeltes System der institutionellen Kontrolle und Transparenz.
Die vier Exemplare gehen an:
- Den Lehrling: Sein persönliches, rechtsverbindliches Dokument, das seine Rechte und Pflichten festhält.
- Den Lehrberechtigten: Dein offizielles Exemplar für die Personalakte.
- Die Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer (WKO): Dieses Exemplar dient der offiziellen Registrierung, der sogenannten „Protokollierung“. Die Lehrlingsstelle agiert hier als Aufsichtsorgan. Sie prüft proaktiv, ob alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind – ist der Betrieb für den Beruf zugelassen, ist der Inhalt korrekt, stimmen die Daten?Dies ist ein zentraler Schritt der Qualitätssicherung.
- Die Arbeiterkammer (AK): Die AK erhält als gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer ebenfalls eine Ausfertigung.Dies ermöglicht es ihr, im Bedarfsfall eine lückenlose Aktenlage zu haben und den Lehrling effektiv beraten und unterstützen zu können.
Dieses System der Verteilung ist die physische Manifestation der österreichischen Sozialpartnerschaft. Es stellt sicher, dass sowohl die Arbeitgeberseite (vertreten durch die WKO) als auch die Arbeitnehmerseite (vertreten durch die AK) von Beginn an über die Existenz und die genauen Bedingungen jedes einzelnen Lehrverhältnisses informiert sind. Das schafft ein transparentes und von den wichtigsten Institutionen überwachtes Spielfeld.
4. Der Inhalt zählt: Was im Lehrvertrag stehen MUSS
Obwohl du in der Praxis ein offizielles Formular der WKO verwenden wirst, bist du als Lehrberechtigter für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben verantwortlich. Die rechtliche Grundlage für die Pflichtinhalte findet sich in § 12 des Berufsausbildungsgesetzes (BAG).
Hier ist deine Checkliste der zwingenden Inhalte:
- Daten der Vertragspartner: Vollständiger Name, Adresse und Sozialversicherungsnummer des Lehrlings sowie die genauen Daten des Lehrbetriebs.Tipp: Überprüfe die SV-Nummer doppelt, ein Tippfehler hier verursacht garantiert Probleme bei der Anmeldung zur Gesundheitskasse.
- Bezeichnung des Lehrberufs: Es muss die exakte, offizielle Bezeichnung laut Lehrberufsliste verwendet werden.Kreative Jobtitel sind hier tabu.
- Standort der Ausbildungsstätte: Die konkrete Adresse, an der die Ausbildung hauptsächlich stattfindet. Dies ist besonders wichtig für Betriebe mit mehreren Filialen oder Standorten.
- Dauer der Lehrzeit: Das exakte Datum des Beginns und des Endes des Lehrverhältnisses.Eventuelle Anrechnungen von Schul- oder Vorlehrzeiten, die die Lehrzeit verkürzen, müssen hier berücksichtigt werden.
- Höhe des Lehrlingseinkommens: Das monatliche Bruttoeinkommen für jedes einzelne Lehrjahr, wie es im geltenden Kollektivvertrag festgelegt ist.Tipp: Führe die Beträge für das 1., 2., 3. usw. Lehrjahr explizit an.
- Hinweise auf Pflichten: Der Vertrag muss Verweise auf die Berufsschulpflicht und die gesetzlichen Bestimmungen zur Beendigung des Lehrverhältnisses enthalten.
- Ausbildungsverbundmaßnahmen: Falls Teile der Ausbildung, die du nicht selbst abdecken kannst, an einen Partnerbetrieb oder ein Kurszentrum ausgelagert werden, muss dies im Vertrag festgehalten werden.
- Name des Ausbilders: Der Name der Person, die im Betrieb für die Ausbildung des Lehrlings verantwortlich ist.
- Datum des Vertragsabschlusses: Das Datum, an dem der Vertrag unterzeichnet wurde.
- Name der Betrieblichen Vorsorgekasse (BVK): Eine neuere gesetzliche Änderung verlangt, dass auch Name und Anschrift der Mitarbeitervorsorgekasse im Lehrvertrag angeführt werden.
Dieser letzte Punkt zeigt, dass der Lehrvertrag kein statisches Dokument ist. Die gesetzlichen Anforderungen entwickeln sich weiter. Sich auf alte Vorlagen zu verlassen, ist daher riskant. Die klare Empfehlung lautet: Verwende für jeden neuen Lehrvertrag immer die aktuellste Vorlage, die von der Lehrlingsstelle deiner Wirtschaftskammer zur Verfügung gestellt wird, oder nutze deren Online-Anmeldesystem.So stellst du sicher, dass du immer auf dem neuesten rechtlichen Stand bist.
5. Der Weg zur Gültigkeit: Anmeldung und die tickende Uhr
Die Unterschriften sind gesetzt, aber die Arbeit ist noch nicht getan. Die Rechtsgültigkeit des Lehrverhältnisses hängt entscheidend von der fristgerechten Anmeldung bei den zuständigen Stellen ab. Diese Fristen zu versäumen, ist keine Option und kann empfindliche Strafen nach sich ziehen.
Hier ist der korrekte chronologische Ablauf:
- SCHRITT 1: Anmeldung bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)
- Frist: VOR dem Antritt des Lehrverhältnisses.Dies ist der absolut wichtigste und zeitkritischste Schritt. Es gibt keine Ausnahmen.
- Warum? Nur so ist der lückenlose Sozialversicherungsschutz (Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung) ab der ersten Minute, die der Lehrling deinen Betrieb betritt, gewährleistet. Eine verspätete Anmeldung ist eine schwere Gesetzesübertretung mit potenziell hohen Nachzahlungen und Haftungsrisiken bei einem Arbeitsunfall.
- SCHRITT 2: Anmeldung bei der Berufsschule
- Frist: Innerhalb von 2 Wochen nach Lehrbeginn.
- Warum? Damit wird sichergestellt, dass der Lehrling rechtzeitig in die richtige Klasse eingeschrieben wird und seine gesetzliche Schulpflicht ohne Verzögerung erfüllen kann.
- SCHRITT 3: Anmeldung des Lehrvertrags bei der Lehrlingsstelle
- Frist: Innerhalb von 3 Wochen nach Lehrbeginn.
- Warum? Dies ist der Akt der offiziellen „Protokollierung“. Du reichst die vier unterzeichneten Exemplare bei der Lehrlingsstelle der WKO deines Bundeslandes ein. Diese prüft den Vertrag, registriert ihn und sendet die gestempelten, offiziellen Ausfertigungen zurück. Die Lehrlingsstelle kann die Eintragung verweigern, wenn der Vertrag fehlerhaft ist oder gegen Gesetze verstößt. Eine rechtskräftige Ablehnung führt zur automatischen Beendigung des Lehrverhältnisses.
Maßnahme | Frist | Zuständigkeit | Wichtiger Hinweis & Konsequenz bei Versäumnis |
Anmeldung bei der ÖGK | Vor Antritt des Lehrverhältnisses | Lehrberechtigter | Absolut zwingend! Sichert den Versicherungsschutz ab der ersten Minute. Bei Versäumnis drohen hohe Strafen und Haftungsprobleme bei einem Arbeitsunfall. |
Anmeldung bei der Berufsschule | Innerhalb von 2 Wochen nach Lehrbeginn | Lehrberechtigter | Sichert den rechtzeitigen Schulbesuch und die Erfüllung der Ausbildungspflicht. Verzögerungen können den Ausbildungsplan stören. |
Anmeldung des Lehrvertrags | Innerhalb von 3 Wochen nach Lehrbeginn | Lehrberechtigter | Offizielle Registrierung bei der Lehrlingsstelle (WKO). Ohne Protokollierung ist das Lehrverhältnis rechtlich nicht als solches anerkannt, was zu massiven Problemen führen kann. |
6. Fazit für die Praxis: Deine Checkliste für den perfekten Lehrvertrag
Der Lehrvertrag mag auf den ersten Blick wie ein komplexer formaler Akt wirken. Doch wenn du die Regeln und ihre Hintergründe kennst, wird der Prozess klar und beherrschbar. Er ist darauf ausgelegt, eine faire, sichere und erfolgreiche Ausbildung für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Nutze diese Checkliste als Leitfaden für jeden neuen Lehrling, um nichts zu übersehen:
- [ ] Vorbereitung: Aktuelles Lehrvertragsformular der WKO besorgt oder Online-System griffbereit?
- [ ] Minderjährigkeit: Lehrling unter 18? Zustimmung und Unterschrift des/der gesetzlichen Vertreter(s) eingeholt? (Bei Zweifel Nachweis der Obsorge verlangt?)
- [ ] Inhalt: Alle Pflichtangaben gemäß § 12 BAG korrekt und vollständig ausgefüllt? (Besonders SV-Nummer, exakte Lehrberufsbezeichnung, Lehrlingseinkommen, BVK)
- [ ] Form: Vertrag in 4-facher Ausfertigung erstellt und von allen Parteien unterschrieben?
- [ ] Frist 1 (ÖGK): Anmeldung bei der Gesundheitskasse vor dem ersten Arbeitstag erledigt?
- [ ] Frist 2 (Berufsschule): Anmeldung bei der Berufsschule innerhalb von 2 Wochen nach Start geplant/erledigt?
- [ ] Frist 3 (Lehrlingsstelle): Einreichung des Vertrags zur Protokollierung bei der Lehrlingsstelle innerhalb von 3 Wochen nach Start geplant/erledigt?
- [ ] Abschluss: Dem Lehrling sein persönliches Exemplar des (später protokollierten) Vertrags ausgehändigt?