11. Teil Ausbilderprüfung - Berufsschule & Arbeitszeit

In dieser Serie bereiten wir die wichtigsten Themen der österreichischen Ausbilderprüfung verständlich und praxisnah auf, damit du für die Prüfung perfekt gerüstet bist und den Ausbildungsalltag souverän meisterst – egal, ob Einsteiger oder erfahrene:r Ausbilder:in!

11. Teil Ausbilderprüfung - Berufsschule & Arbeitszeit
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Als Ausbilderin oder Ausbilder bist du eine der zentralen Säulen im dualen Ausbildungssystem Österreichs. Du formst nicht nur die fachlichen Fähigkeiten deiner Lehrlinge, sondern begleitest sie auch auf einem entscheidenden Abschnitt ihres Weges ins Berufsleben. Diese Ausbildung ist eine Partnerschaft zwischen deinem Betrieb und der Berufsschule – zwei Lernorte, die Hand in Hand arbeiten müssen, um den besten Ausbildungserfolg zu gewährleisten. 

Ein Thema, das dabei immer wieder für Fragen und manchmal auch für Unklarheiten sorgt, sind die Regelungen rund um den Berufsschulbesuch. Die korrekte Handhabung ist weit mehr als nur eine gesetzliche Pflicht. Sie ist ein klares Zeichen von Professionalität, Wertschätzung und Fairness gegenüber deinem Lehrling. Ein reibungsloser Ablauf in diesem Bereich legt den Grundstein für ein vertrauensvolles und erfolgreiches Lehrverhältnis.

In diesem umfassenden Leitfaden geben wir dir alle Werkzeuge an die Hand, die du benötigst, um souverän und rechtssicher durch den Dschungel der Vorschriften zu navigieren. Wir beantworten die Kernfragen, die dich im Ausbildungsalltag beschäftigen:

  • Wer ist wofür verantwortlich? Eine klare Aufteilung der Pflichten zwischen dir und deinem Lehrling.
  • Wie wird die Schulzeit korrekt auf die Arbeitszeit angerechnet? Wir zeigen dir die genaue Berechnung.
  • Was passiert, wenn der Unterricht ausfällt? Wir erklären die Regeln für alle denkbaren Szenarien.
  • Darf der Lehrling nach der Schule noch im Betrieb arbeiten? Wir beleuchten die 8-Stunden-Regel und die entscheidende Rolle der Wegzeit.

Lass uns gemeinsam für Klarheit sorgen, damit du dich auf das konzentrieren kannst, was wirklich zählt: die exzellente Ausbildung deiner zukünftigen Fachkräfte.

Die rechtliche Landkarte: Deine Navigationshilfen im Gesetzesdschungel

Um die praktischen Regeln zu verstehen, müssen wir zunächst einen Blick auf die rechtliche Landkarte werfen. Keine Sorge, wir machen das verständlich und praxisnah. Für dich als Ausbilder:in sind vor allem zwei Gesetze von zentraler Bedeutung, die wie Zahnräder ineinandergreifen.

Die Hauptakteure: BAG und KJBG

  1. Das Berufsausbildungsgesetz (BAG): Dies ist das Fundament für jedes Lehrverhältnis in Österreich. Es regelt die grundlegenden Rechte und Pflichten, den Lehrvertrag, die Lehrabschlussprüfung und vieles mehr.Im BAG ist zum Beispiel in § 9 deine Pflicht verankert, den Lehrling für die Ausbildung unter Bedachtnahme auf die Ausbildungsvorschriften anzuleiten und ihn zum Berufsschulbesuch anzuhalten. 
  2. Das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG): Dieses Gesetz ist, wie der Name schon sagt, ein spezielles Schutzgesetz für junge Arbeitnehmer:innen. Es enthält detaillierte Vorschriften zu Arbeitszeiten, Ruhepausen, Nachtruhe und eben auch zum Berufsschulbesuch. 

Der entscheidende Paragraph für unser Thema ist § 11 KJBG. Er ist der Dreh- und Angelpunkt für fast alle Fragen zur Anrechnung der Berufsschulzeit. Hier wird detailliert festgelegt, dass du den Lehrling für die Schule freistellen und das Entgelt weiterzahlen musst (§ 11 Abs. 4 KJBG), dass die Unterrichtszeit auf die wöchentliche Arbeitszeit anzurechnen ist (§ 11 Abs. 5 KJBG) und unter welchen Bedingungen eine Beschäftigung nach der Schule oder während eines Lehrgangs erlaubt ist (§ 11 Abs. 7 und 8 KJBG). 

Spezialfall: Volljährige Lehrlinge – Eine wichtige Klarstellung

Jetzt kommt ein Punkt, der oft zu Verwirrung führt: Was gilt für Lehrlinge, die bereits 18 Jahre oder älter sind? Fällt das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz dann weg? Die Antwort ist ein klares Jein und für dich als Ausbilder:in essenziell zu verstehen.

Während allgemeine Schutzbestimmungen wie die Nachtruhe für volljährige Lehrlinge durch das reguläre Arbeitszeitgesetz (AZG) abgelöst werden, hat der Gesetzgeber eine wichtige Ausnahme geschaffen: Die Regelungen zur Anrechnung der Berufsschulzeit aus § 11 KJBG gelten ausdrücklich auch für volljährige Lehrlinge

Dahinter steckt eine wichtige Logik: Der Gesetzgeber betrachtet den Berufsschulbesuch als einen integralen und schützenswerten Teil der Ausbildung, dessen pädagogischer Charakter unabhängig vom Alter des Lehrlings ist. Die Konzentration auf die Schule soll nicht durch betriebliche Interessen beeinträchtigt werden. Für dich bedeutet das in der Praxis: Auch wenn dein Lehrling 25 Jahre alt ist, musst du für alle Fragen rund um die Anrechnung der Berufsschulzeit, die Beschäftigung nach der Schule und den Unterrichtsentfall primär das KJBG heranziehen.

Die Rolle des Kollektivvertrags

Neben den Gesetzen gibt es noch eine dritte wichtige Rechtsquelle: den für deine Branche geltenden Kollektivvertrag. Das BAG und das KJBG legen die gesetzlichen Mindeststandards fest. Der Kollektivvertrag kann jedoch für den Lehrling günstigere Regelungen vorsehen.Das können zum Beispiel sein:  

  • Eine kürzere wöchentliche Normalarbeitszeit (z.B. 38,5 statt 40 Stunden).
  • Zusätzliche bezahlte Freistellungen für die Prüfungsvorbereitung.
  • Höhere Lehrlingseinkommen.

Es gilt das Günstigkeitsprinzip: Ist eine Regelung im Kollektivvertrag für den Lehrling besser als im Gesetz, so gilt die Regelung des Kollektivvertrags.Ein Blick in deinen Branchen-Kollektivvertrag ist daher unerlässlich, um alle Pflichten und Rechte korrekt umzusetzen.  

Geteilte Verantwortung: Deine Pflichten und die deines Lehrlings

Eine erfolgreiche Ausbildung im dualen System basiert auf einer klaren Aufteilung der Verantwortlichkeiten. Sowohl du als Lehrbetrieb als auch dein Lehrling habt im Kontext der Berufsschule spezifische, gesetzlich verankerte Pflichten.

Deine Pflichten als Lehrberechtigte/r bzw. Ausbilder:in

Deine Rolle ist aktiv und gestaltend. Du bist nicht nur Arbeitgeber, sondern vor allem Ausbildungsverantwortliche/r. 

  • Anmeldung zur Berufsschule: Du bist gesetzlich verpflichtet, deinen Lehrling innerhalb von zwei Wochen nach Beginn des Lehrverhältnisses bei der zuständigen Berufsschule anzumelden.Dies geschieht in der Regel mittels eines Formulars. Eine verspätete oder unterlassene Anmeldung ist eine Verwaltungsübertretung und kann bestraft werden. 
  • Freistellung für den Unterricht: Du musst dem Lehrling die für den Besuch der Berufsschule erforderliche Zeit freigeben. Dies ist eine deiner Kernpflichten. 
  • Fortzahlung des Lehrlingseinkommens: Während der gesamten Zeit, die der Lehrling in der Berufsschule oder im dazugehörigen Internat verbringt, muss das Lehrlingseinkommen zu 100 % weiterbezahlt werden. Die Zeit in der Berufsschule gilt als Arbeitszeit. 
  • Übernahme der Internatskosten: Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2018 ist der Lehrbetrieb verpflichtet, die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung im Internat zu tragen, wenn der Berufsschulbesuch lehrgangsmäßig erfolgt und eine tägliche Heimfahrt nicht zumutbar ist. Du kannst für diese Kosten bei der zuständigen Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer eine Förderung beantragen. 
  • Anhaltepflicht zum Berufsschulbesuch: Das Gesetz fordert von dir, den Lehrling zum Besuch der Berufsschule "anzuhalten".Dies ist mehr als nur eine passive Freistellung. Es ist eine aktive Managementaufgabe. Das bedeutet, du musst bei Anzeichen von unentschuldigtem Fehlen oder Desinteresse aktiv werden. Suche das Gespräch, frage nach den Gründen, kontrolliere die Zeugnisse und mache die Konsequenzen von Pflichtverletzungen klar. Unentschuldigtes Fernbleiben von der Berufsschule ist ein schwerwiegender Verstoß gegen den Lehrvertrag und kann nach wiederholter, nachweislicher Ermahnung einen Entlassungsgrund darstellen.Deine Anhaltepflicht ist die rechtliche Basis für dein disziplinarisches Handeln.  
  • Kommunikation mit der Schule: Es ist deine Aufgabe, den Kontakt zur Berufsschule zu pflegen. Dies hilft, frühzeitig über eventuelle Probleme informiert zu werden und gemeinsam Lösungen zu finden.Bei minderjährigen Lehrlingen gehört auch der Kontakt zu den Erziehungsberechtigten zu deinen Pflichten. 

Die Pflichten deines Lehrlings

Auch der Lehrling hat klar definierte Pflichten, die du ihm zu Beginn der Lehre transparent kommunizieren solltest. 

  • Teilnahmepflicht: Der regelmäßige und pünktliche Besuch der Berufsschule ist eine der Hauptpflichten des Lehrlings. Er ist gesetzlich dazu verpflichtet. 
  • Meldepflicht bei Verhinderung: Ist der Lehrling krank oder aus einem anderen wichtigen Grund am Schulbesuch verhindert, muss er dies unverzüglich sowohl dem Betrieb als auch der Berufsschule melden.Diese doppelte Meldepflicht ist ein wichtiger Schutzmechanismus. Die Meldung im Betrieb ist für die korrekte Lohnfortzahlung und Arbeitsorganisation entscheidend. Die Meldung in der Schule verhindert, dass eine entschuldigte Absenz als "Schwänzen" gewertet wird. Kläre diesen Prozess am besten am ersten Lehrtag.  
  • Nachweispflicht: Auf dein Verlangen ist der Lehrling verpflichtet, dir das Berufsschulzeugnis und gegebenenfalls auch Hefte und Schulunterlagen zur Einsicht vorzulegen.Dies gibt dir die Möglichkeit, den Lernfortschritt zu verfolgen und bei Bedarf unterstützend einzugreifen.  

Schulzeit ist Arbeitszeit: Die korrekte Anrechnung im Detail

Eine der fundamentalsten Regeln, die du verinnerlichen musst, lautet: Die Zeit, die der Lehrling für den Berufsschulbesuch benötigt, ist auf die wöchentliche Arbeitszeit anzurechnen.Das bedeutet, sie wird wie Arbeitszeit im Betrieb bezahlt und bei der Berechnung der Gesamtarbeitszeit berücksichtigt. Diese Regelung gilt, wie bereits erwähnt, auch für volljährige Lehrlinge. 

Doch was genau zählt alles zur anrechenbaren "Unterrichtszeit"? Das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz (KJBG) definiert dies in § 11 Abs. 6 sehr genau. Zur anrechenbaren Zeit gehören:  

  • Die reinen Unterrichtsstunden laut Stundenplan.
  • Die Pausen in der Berufsschule, mit der expliziten Ausnahme der Mittagspause.
  • Der Besuch von Freigegenständen und unverbindlichen Übungen im Ausmaß von höchstens zwei Unterrichtsstunden pro Woche.
  • Der Besuch von Förderunterricht.
  • Die Teilnahme an offiziellen Schulveranstaltungen (z.B. Exkursionen, Sporttage).

Praxisbeispiel: Berechnung der betrieblichen Restarbeitszeit

Um das Ganze greifbar zu machen, spielen wir ein typisches Szenario durch:

  • Annahme: Dein Lehrling hat laut Kollektivvertrag eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden. Der Berufsschultag ist der Dienstag. Der Unterricht dauert von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr, was 9 Unterrichtseinheiten à 50 Minuten plus Pausen entspricht. Das sind 7,5 Zeitstunden anrechenbare Schulzeit.
  • Berechnung:
    • Wöchentliche Normalarbeitszeit (KV): 38,5 Stunden
    • Anrechenbare Berufsschulzeit am Dienstag: −7,5 Stunden
    • Betriebliche Restarbeitszeit für die Woche: 31 Stunden

Diese 31 Stunden müssen nun auf die verbleibenden Arbeitstage (Montag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag) verteilt werden. Wie genau die Verteilung aussieht, hängt von der betriebsüblichen Arbeitszeiteinteilung ab. Wenn ihr zum Beispiel einen "kurzen Freitag" habt, müssen die Stunden entsprechend auf die anderen Tage aufgeteilt werden. 

Zur Veranschaulichung hier eine mögliche Wochenplanung:

Tag

Geplante Arbeitszeit (Beispiel)

Anrechenbare Schulzeit

Tatsächliche Arbeitszeit im Betrieb

Montag

7,75 h

0 h

7,75 h

Dienstag

7,75 h

7,5 h

0,25 h (falls zumutbar, siehe nächstes Kapitel)

Mittwoch

7,75 h

0 h

7,75 h

Donnerstag

7,75 h

0 h

7,75 h

Freitag

7,5 h

0 h

7,5 h

Gesamt

38,5 h

7,5 h

31 h

Diese genaue Aufzeichnung und Planung ist nicht nur für die Lohnverrechnung wichtig, sondern auch deine rechtliche Absicherung bei Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat. 

Nach der Schule in den Betrieb? Die 8-Stunden-Regel und die entscheidende Wegzeit

Eine der häufigsten Fragen und potenziellen Konfliktpunkte im Ausbildungsalltag ist die Beschäftigung des Lehrlings nach dem Berufsschulunterricht. Hier hat der Gesetzgeber klare und differenzierte Regeln geschaffen, die du unbedingt kennen musst.

Fall 1: Der Schultag dauert 8 Stunden oder länger

Hier ist die Regelung absolut eindeutig und lässt keinen Spielraum: Beträgt die anrechenbare Unterrichtszeit an einem Schultag mindestens acht Stunden, ist eine Beschäftigung des Lehrlings im Betrieb an diesem Tag nicht mehr zulässig

Für die Praxis ist es wichtig zu wissen, dass acht Zeitstunden in der Regel neun Unterrichtseinheiten à 50 Minuten plus den dazugehörigen Pausen entsprechen.Diese Regelung hat eine klare pädagogische Schutzfunktion. Sie erkennt an, dass ein voller Schultag eine vollwertige Arbeitsleistung ist, die Konzentration und Energie erfordert. Eine anschließende Beschäftigung würde den Lehrling überlasten und den Lernerfolg gefährden. Es ist die gesetzliche Anerkennung der Gleichwertigkeit von theoretischer und praktischer Ausbildung an diesem Tag.  

Fall 2: Der Schultag dauert weniger als 8 Stunden

In diesem Fall ist eine Beschäftigung im Betrieb grundsätzlich möglich, aber nur unter einer sehr wichtigen Bedingung. Hier kommt die "Formel der Wahrheit" ins Spiel, die du immer im Kopf haben solltest:

Unterrichtszeit + notwendige Wegzeit (Schule -> Betrieb) + betriebliche Restarbeitszeit $ \le $ gesetzliche Tagesarbeitszeit 

Schauen wir uns die Bestandteile genauer an:

  • Unterrichtszeit: Die anrechenbare Schulzeit, wie im vorigen Kapitel definiert.
  • Notwendige Wegzeit: Dies ist die objektiv erforderliche Zeit für den direkten Weg vom Schulstandort zum Betrieb. Private Umwege, Einkäufe oder Treffen mit Freunden zählen hier selbstverständlich nicht. Die Einbeziehung der Wegzeit ist ein zentraler Schutzmechanismus, der Fairness gewährleisten soll. Er verhindert, dass die Freizeit des Lehrlings durch lange Pendelzeiten zwischen den beiden Ausbildungsorten aufgebraucht wird.
  • Betriebliche Restarbeitszeit: Die Zeit, die der Lehrling nach Ankunft im Betrieb noch arbeiten soll.
  • Gesetzliche Tagesarbeitszeit: In der Regel 8 Stunden für Jugendliche.

Als Ausbilder:in musst du also die Wegzeit aktiv in deine Planung einbeziehen. Ein Lehrling mit 15 Minuten Wegzeit kann nach der Schule eher noch für eine sinnvolle Dauer im Betrieb eingesetzt werden als ein Lehrling mit einer Stunde Wegzeit.

Praxis-Tipp: Um Diskussionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Wegzeit einmalig gemeinsam mit dem Lehrling festzulegen (z.B. mittels eines Routenplaners für öffentliche Verkehrsmittel). Dokumentiere diese Festlegung. Und vergiss nicht: Eine lückenlose Arbeitszeitaufzeichnung, die das Ende des Unterrichts, die Ankunftszeit im Betrieb und das Arbeitsende exakt erfasst, ist hier unerlässlich und deine beste Absicherung. 

Sonderfall Blockunterricht: Eine klare Regelung für volle Konzentration

Neben den ganzjährigen Berufsschulen gibt es die lehrgangsmäßigen (Block-) oder saisonmäßigen Berufsschulen. Für diese Form des Unterrichts hat der Gesetzgeber eine sehr klare und einfache Regel geschaffen.

Die goldene Regel lautet: Während des tatsächlichen Besuchs einer lehrgangsmäßigen oder saisonmäßigen Berufsschule darf der Lehrling nicht im Betrieb beschäftigt werden

Diese Regelung gilt für die gesamte Dauer des Lehrgangs, also für alle Wochen, die der Lehrling im Blockunterricht verbringt. Sie gilt auch an Tagen, an denen der Unterricht vielleicht einmal früher endet. Der Grundgedanke dahinter ist rein pädagogischer Natur: Im Blockunterricht wird der Lehrstoff sehr komprimiert vermittelt. Der Lehrling soll sich voll und ganz auf das Lernen konzentrieren können, ohne durch betriebliche Aufgaben oder die Notwendigkeit, abends noch in den Betrieb zu fahren, zusätzlich belastet zu werden. Dies fördert den Lernerfolg und sichert die notwendige Erholung.

Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es nur, wenn der Unterricht für mehrere Tage ausfällt. Diese Fälle betrachten wir im nächsten Kapitel.

Wenn der Unterricht ausfällt: Dein Leitfaden zur "Zumutbarkeit"

Der Ausfall von Unterricht ist ein Thema, das oft zu Unsicherheiten führt. Hier kommt der rechtlich nicht exakt definierte Begriff der "Zumutbarkeit" ins Spiel. Deine Aufgabe als Ausbilder:in ist es, diesen Begriff im Einzelfall fair und nachvollziehbar mit Leben zu füllen. Grundsätzlich gilt: Fällt der Unterricht aus, lebt die Arbeitspflicht im Betrieb wieder auf, ist aber an die Bedingung der Zumutbarkeit geknüpft. 

Analysieren wir die häufigsten Szenarien:

Szenario 1: Ausfall einzelner Stunden (ganzjährige Schule)

Fallen an einem regulären Schultag eine oder mehrere Stunden aus, greift die Abwägung der Zumutbarkeit. Die Kernfrage lautet: Steht der Aufwand (Wegzeit) in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag (verbleibende Arbeitszeit)?. 

Praxis-Faustregel: Wenn die einfache Wegzeit von der Schule zum Betrieb länger ist als die verbleibende, im Betrieb zu leistende Arbeitszeit an diesem Tag, ist die Rückkehr in der Regel unzumutbar.Es wäre wirtschaftlich und pädagogisch unsinnig, einen Lehrling für eine Stunde Arbeit eineinhalb Stunden fahren zu lassen.  

Szenario 2: Ausfall ganzer Schultage oder Ferien (ganzjährige Schule)

Hier ist die Rechtslage eindeutig und lässt keinen Raum für Interpretation: Bei Ausfall ganzer Schultage besteht für den Lehrling eine klare Arbeitspflicht im Betrieb. Dies betrifft zum Beispiel:

  • Schulautonome Tage ("Direktorstage")
  • Pädagogische Konferenzen des Lehrerkollegiums
  • Hitzefrei
  • Semester-, Oster- oder sonstige Schulferien. 

In diesen Fällen ist der Lehrling verpflichtet, sich für die Arbeit im Betrieb zur Verfügung zu stellen, sofern du ihn nicht beurlaubst.

Szenario 3: Ausfall im Blockunterricht

Auch hier müssen wir differenzieren:

  • Bei 1-2 Tagen Ausfall: Es gilt wieder die Zumutbarkeitsprüfung. Ein entscheidender Faktor ist hier die Entfernung des Lehrlings vom Betrieb. Besucht ein Lehrling eine Berufsschule in einem anderen Bundesland und wohnt während des Blocks im Internat, ist es ihm nicht zuzumuten, für einen oder zwei Arbeitstage nach Hause und wieder zurück zu fahren. Die Kosten und der Zeitaufwand wären unverhältnismäßig.Ist der Betrieb hingegen in der Nähe des Internats, kann die Situation anders zu beurteilen sein.  
  • Bei 3 oder mehr Tagen Ausfall (z.B. eine ganze Woche): Fällt der Unterricht für drei oder mehr aufeinanderfolgende Tage aus (z.B. eine ganze Woche wegen Ferien), besteht eine klare Arbeitspflicht im Betrieb. 

Um dir eine schnelle Orientierung zu geben, fasst die folgende Tabelle die Regeln zusammen:

Situation

Ganzjährige Berufsschule

Lehrgangsmäßige Berufsschule (Block)

Einzelne Stunden fallen aus

Arbeitspflicht, wenn Rückkehr zumutbar ist (Faustregel: Restarbeitszeit > Wegzeit)

N/A (da während des Blocks ohnehin keine Arbeitspflicht besteht)

Ganzer Schultag fällt aus (z.B. schulautonomer Tag)

Klare Arbeitspflicht

Arbeitspflicht, wenn Rückkehr zumutbar ist (bei 1-2 Tagen Ausfall)

Ganze Schulwoche fällt aus (z.B. Ferien)

Klare Arbeitspflicht

Klare Arbeitspflicht (bei 3+ Tagen Ausfall)

Die beste Strategie zur Vermeidung von Konflikten ist proaktive Kommunikation. Besprich diese Regeln und was in eurem spezifischen Fall als "zumutbar" gilt, bereits zu Beginn der Lehre. Das schafft Transparenz und Vertrauen.

Praktische Tipps für deinen Ausbildungsalltag: So navigierst du sicher durch die Praxis

Das Wissen um die Gesetze ist die eine Sache, die erfolgreiche Umsetzung im Alltag die andere. Mit den folgenden Tipps kannst du die Zusammenarbeit rund um die Berufsschule professionell und reibungslos gestalten.

Tipp 1: Pflege den Kontakt zur Berufsschule

Sieh die Berufsschule nicht als Blackbox, sondern als deinen Partner. Stelle dich zu Beginn des Schuljahres den zuständigen Klassenlehrer:innen vor. Ein kurzer, regelmäßiger Austausch – auch per E-Mail oder Telefon – kann Gold wert sein. So erfährst du frühzeitig von möglichen Problemen wie Leistungsschwäche oder unentschuldigten Fehlzeiten und kannst gemeinsam mit der Schule unterstützend eingreifen.Dies ist auch ein wesentlicher Teil deiner gesetzlichen "Anhaltepflicht".  

Tipp 2: Plane vorausschauend

Besorge dir zu Beginn jedes Schuljahres den Kalender der Berufsschule. Dieser enthält nicht nur die Unterrichtszeiten, sondern auch Ferientermine, schulautonome Tage und Prüfungswochen.Plane die betriebliche Anwesenheit und die Projekte deines Lehrlings um diese Termine herum. So vermeidest du Engpässe und zeigst, dass du die Ausbildung ganzheitlich im Blick hast.  

Tipp 3: Führe lückenlose Arbeitszeitaufzeichnungen

Es ist deine gesetzliche Pflicht, die Arbeitszeiten deiner Mitarbeiter:innen – und damit auch deiner Lehrlinge – lückenlos zu dokumentieren.Im Kontext der Berufsschule ist das besonders wichtig. Dokumentiere exakt:  

  • Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit im Betrieb
  • Dauer und Lage der Ruhepausen
  • Anrechenbare Schulzeiten
  • Wegzeiten zwischen Schule und Betrieb

Diese Aufzeichnungen sind bei Prüfungen durch das Arbeitsinspektorat oder bei Unstimmigkeiten über die Entlohnung deine wichtigste rechtliche Absicherung. Nutze dafür bewährte Systeme, sei es eine elektronische Zeiterfassung oder standardisierte Formulare. Vorlagen hierfür findest du bei der Wirtschaftskammer (WKO) oder der Arbeiterkammer (AK). 

Tipp 4: Schaffe klare Regeln und kommuniziere sie

Die meisten Missverständnisse entstehen nicht aus bösem Willen, sondern aus Unklarheit. Erstelle eine einfache Checkliste oder ein kurzes Infoblatt, das die wichtigsten Regeln zum Thema Berufsschule für deinen Betrieb zusammenfasst. Besprich dieses Dokument am ersten Lehrtag mit deinem neuen Lehrling.Inhalte könnten sein:  

  • An wen muss eine Krankmeldung gerichtet werden (Betrieb UND Schule)?
  • Wann und wie ist eine Rückkehr in den Betrieb nach der Schule vorgesehen?
  • Wie sind die Regeln bei Unterrichtsentfall?

Das schafft vom ersten Tag an Verbindlichkeit und beugt dem Argument "Das habe ich nicht gewusst" effektiv vor.

Fazit: Klarheit schafft Vertrauen und sichert den Ausbildungserfolg

Die Regelungen rund um den Berufsschulbesuch mögen auf den ersten Blick komplex erscheinen. Doch bei genauerer Betrachtung folgen sie einer klaren Logik: Sie sollen den Ausbildungserfolg sichern, den Lehrling schützen und ein faires Miteinander zwischen den beiden Lernorten Betrieb und Schule gewährleisten.

Für dich als Ausbilder:in ist die Kernbotschaft klar: Eine genaue Kenntnis und eine faire, gesetzeskonforme Anwendung dieser Regeln sind kein bürokratischer Selbstzweck. Sie sind ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für einen exzellenten Ausbildungsbetrieb.

Wenn du die Anrechnung der Schulzeit korrekt handhabst, die 8-Stunden-Regel beachtest und bei Unterrichtsentfall nachvollziehbare und zumutbare Entscheidungen triffst, zeigst du deinem Lehrling Respekt und Wertschätzung. Du signalisierst, dass du seine Ausbildung ernst nimmst und ihn als wichtigen Teil des Teams siehst. Diese partnerschaftliche Haltung stärkt das Vertrauen, fördert die Motivation und legt den entscheidenden Grundstein für eine erfolgreiche Ausbildung – und damit für eine loyale und kompetente Fachkraft, die dein Unternehmen in Zukunft bereichern wird.